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Respekt auf Deutsch16. 6. 20067 minut

Er warf sie in den Schnee und ging davon

Die große Werbetafel an der Fabrik Izopol im Städtchen Dolní Poustevna im Kreis Ústí nad Labem (Aussig) verkündet stolz den Namen des Eigentümers Josef Dvořák samt dessen Telefonnummern. In diesen Tagen kommt man aber nicht zu ihm durch.

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Autor fotografie: ČTK, www.ctk.cz
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Die große Werbetafel an der Fabrik Izopol im Städtchen Dolní Poustevna im Kreis Ústí nad Labem (Aussig) verkündet stolz den Namen des Eigentümers Josef Dvořák samt dessen Telefonnummern. In diesen Tagen kommt man aber nicht zu ihm durch. Der Mensch, dessen Reichtum Killer angelockt hatte, trägt Trauer. Gerade ist der Gerichtsprozess gegen die beiden Männer zu Ende gegangen, die vergangenes Jahr seine Tochter Vlasta entführten und töteten. „Hier geschah es“, sagt Gastwirt Josef Křivonoska und zeigt auf den Parkplatz vor der Kneipe „Čtverec“, wo der langsame und brutale Mord an der Mutter eines Kleinkinds seinen Anfang nahm. Hierher hatte Martin Vlk seine Freundin gelockt, wo sie dann von seinen Komplizen überfallen, zusammengeschlagen und in den Kofferraum gesteckt wurde. Die Verbrecher wollten von ihrem Vater rund 1,5 Millionen Kronen Lösegeld erpressen. Doch alles geriet aus den Fugen und zuletzt warf Martin Vlk die zu Tode gequälte Frau einfach in den Schnee.

Vor Gericht wurden er und seine zwei Komplizen nicht wegen Mordes verurteilt, weil dazu nicht genügend Beweise gefunden wurden, sondern für „Geiselnahme mit Todesfolge“. Dafür beträgt die Höchststrafe 15 Jahre Haft, die Martin Vlk bekam. Die Mittäter müssen für zehn und neun Jahre hinter Gitter. Jiří Krupička, Leiter der Mordabteilung in Ústí, der in dreißig Dienstjahren etwa zweihundert Gewalttaten auf dem Tisch hatte, ist sich allerdings sicher, dass es bei Vlasta Sluťáková um Mord ging. „Sie ist nicht erstickt“, sagt er, „sie wurde erstickt.“ Das Urteil befindet selbst die zuständige Richterin Kamila Krejcarová als zu mild. „Es war ein brutaler Mord, auf eine besonders verwerfliche Art durchgeführt“, sagt sie ins Telefon. Der Mörder missbrauchte das Vertrauen der Frau, die er seit Kindertagen kannte.

Dolní Poustevna liegt im abgelegenen Schluckenauer Zipfel. Eine Gruppe von Freunden erbaute in dem 2000-Seelen-Städtchen vor dreißig Jahren eine Reihenhaus-Siedlung. „Wir waren hier wie eine Familie“, sagt ein Nachbar: die Dvořáks genauso wie die Vlks. Martin, der älteste von vier Söhnen und ein paar Jahre älter als Vlasta, besuchte dieselbe Grundschule wie sie und wurde später ihr Leiter im Pionierlager.

Die Einheimischen, geschockt von der Mordtat, versuchen weiterzuleben und zu vergessen. „Lassen sie ihn in Ruhe“, zeigt sich eine Nachbarin erbost, als ich mich nach Herrn Dvořák erkundige. Niemand hier möchte die schreckliche Wunde aufreißen. Auch die Gebrüder Vlk sind nicht erpicht auf ein Treffen mit Zeitungsreportern. Wie ihr Bruder Martin vor dem Mord sind auch sie geachtete Bürger: Glasbläser, Fußballer, Jäger.

Martin hat auch Glasbläser gelernt, zog zu einer Frau in die nahe gelegene Stadt Česká Lípa (Böhmisch Leipa), kümmerte sich um zwei kleine Kinder und arbeitete mit seinem Bruder in der Glaswerkstatt. Er hatte keine Schwierigkeiten mit dem Gesetz, und die Nachbarn mochten ihn. In der Werkstatt stellten die Brüder künstlerisch gestaltete Becher und Pokale her. Sie exportierten sie sogar nach Deutschland. „Ein geschickter Handwerker und feiner Kerl“, lobt ihn der Gastwirt, dessen Lokal an die Werkstatt grenzt. Doch auch mit Geldsorgen.

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Das Geld des Onkels

Das blühende Imperium des Onkels vom Familienlagerfeuer, Josef Dvořák, hatte Martin Vlk täglich vor Augen. Dieser Unternehmer muss nicht jeden Morgen um sechs in die Werkstatt voller Glasstaub und steckt auch nicht bis zum Hals in Schulden. Was Vlastas Vater anfasst, wird zu Gold, seine Fabrik für Polystyrol wächst, er besitzt auch eine Tankstelle und eine Autowaschanlage. In der Region ist er bekannt und beliebt.

Nach Gerichtsaussagen träumte Martin Vlk davon, auch einen Teil des Reichtums zu haben. In einer Gaststätte traf er seinen Komplizen Karel Starosta. Der 24-Jährige aus dem nahen Vilémov liebt Fußball, kann sich in keinem Beruf halten und hat Schulden. Laut Libor Sklenář, dem Manager der Fußballer in Vilémov, ein netter Junge, der keiner Fliege etwas zuleide tun kann. „Eines Tages fragt Vlk, ob ich mir nicht 400 000 Kronen dazu verdienen möchte“, schilderte Starosta vor Gericht. „Wer würde das nicht wollen? Ich sagte ja.“

Am 9. März um kurz vor zehn Uhr rief Vlk bei Vlasta an. Es war der Tag, an dem er die amtliche Aufforderung erhalten hatte, seine Schulden zu begleichen. Vlk bat sie, sofort zum Restaurant Čtverec zu kommen, er müsse mit ihr dringend sprechen. Auf dem verlassenen Parkplatz vor dem Restaurant warteten bereits Karel Starosta, der ein Sweatshirt in der Hand hielt, mit seinem Freund Štefan Vaško. Dieser, der in der Gegend nur Trottel Vaško genannt wird und von seinem Anwalt später mit dem Hinweis auf seine niedrige Intelligenz von dem Vorwurf des Mordversuchs entlastet werden sollte, hatte eine Gaspistole von Vlk in der Hand. Vlasta stieg aus. Sie kannte keinen der Jungs. Und bestimmt dachte sie nicht, dass dies böswillige Clowns wie aus einem David-Lynch-Film wären. Trottel Vaško schlug ihr mit der Pistole auf den Kopf, und sie knebelten sie. Dann zogen sie ihr das Sweatshirt über den Kopf, Vlk hatte darauf bestanden. Vlasta sollte ihn nicht erkennen. Nun steckten sie das Mädchen in den Kofferraum. Ein paar Kilomter weiter wartete bereits Vlk mit seinem Wagen. Starosta behauptete vor Gericht, die Frau habe sich noch bewegt, als die Männer sie in Vlks Wagen trugen.

Nach Svor (Röhrsdorf) dauert es von hier etwa eine Stunde. Dort hielt Vlk an. Polizist Jiří Krupička ist überzeugt, er habe Vlasta getötet. Am Hals hatte sie starke Druckspuren, verstopfte Nase und Mund. Vlks Version zufolge fand er die Frau bereits tot im Kofferraum vor. In jedem Fall war sie im Auto lange Minuten am Ersticken und durchlitt einen schmerzvollen Todeskampf. Es ist aber nicht klar, ob Vlk die Frau eigenhändig erwürgte, was ihm das Gericht nicht nachweisen konnte, oder sie durch die Fahrt zu Tode gequält wurde. Dass er sie in Svor aus dem Kofferraum zog und in den Schnee warf, gab er vor Gericht zu. Es schien ihm allerdings, die Leiche sei viel zu nah an der Straße. Er stieg also hinab zu ihr, hob sie auf und schleuderte sie noch tiefer in die Dunkelheit. Man sollte sie so spät wie möglich finden. Dann kehrte er zum Wagen zurück und übergab sich. „Mir wurde schlecht. Es ist doch eigenartig, wenn man im Auto eine tote Frau findet“, sagte er aus. Dann fuhr er davon und „wollte so leben, als sei nichts passiert“. Beim ersten Verhör brach er zusammen.

Kein Mitleid

Gerichtspsychiater Michal Heser wundert es nicht, dass Vlk vor der Tat nicht wie ein gefährliches Monster gewirkt hatte. Es gibt solche Leute, die beliebt und problemlos sind wie Martin Vlk, aber unter „Gefühlsverflachung“ leiden. Sie sind vollkommen egozentrisch und ohne Gefühl des Mitleids. Nicht unbedingt wird aber der Mechanismus ausgelöst, der zu einem solch grausigen Ende wie in Dolní Poustevna führt. „Es geht um eine angeborene Disposition. Die Wahrscheinlichkeit eines Ausbruchs ist sehr gering“, beruhigt der Psychiater. „In Vlks Fall könnte der Auslöser Geldgier oder die Furcht vor Schulden gewesen sein“, fügt er hinzu.

Martin Vlk hält die Verurteilung zu 15 Jahren Haft für ungerecht. „Ich wollte sie nicht töten, nur entführen“, wiederholte er ununterbrochen im Verhandlungssaal. Er erklärte nicht, warum er darauf bestanden hatte, dass Vlasta ihn nicht erkennen sollte, und sie zugleich an einem entlegenen Ort festhalten wollte. Er konnte nicht erklären, wo er sich mit der Entführten verstecken wollte. Alles spricht dafür, dass er von dem Moment an, als er zur Durchführung seines Plans schritt, nur noch an das Geld dachte und sein Opfer nicht mehr als lebendiges Wesen sah. Und als die Sache schief ging, warf er sie einfach weg.


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