Ein Messerstich in Strakonice
Wie ein junger Mann gegen Skinheads einschritt – und dafür bezahlen musste.
Passieren kann natürlich noch alles Mögliche, aber eines ist so gut wie sicher: Jakub (22) wird nie wieder so gehen können wie früher, als er ein gesunder Mensch war. Ein gelähmtes Bein und ein gelähmter Arm werden ihn wahrscheinlich für immer an die Begegnung mit zwei Skinheads im südböhmischen Strakonice Mitte Mai erinnern. Nach seiner Aufforderung, sie sollen aufhören, „Tod den Juden“ zu rufen, bekam er einen Messerstich in den Hals und hat jetzt im Krankenhaus viel Zeit zum Nachdenken.
Die drei Freunde Jakub, Standa und Vlasta fuhren an jenem Abend nach dem Bowling zu ihrem beliebten Platz in der Nähe des Strakonicer Zentrums. „Wir saßen da, tranken ein Bier und hörten auf einmal, wie jemand ,Tod den Juden' und ,Sieg Heil' rief“, erinnert sich der 20-jährige Standa, der genau wie seine Freunde aus Angst vor Rache seinen ganzen Namen nicht preisgeben will. „Jakub forderte sie auf, damit aufzuhören, doch sie ignorierten ihn und krakeelten weiter. Also entschloss er sich, zu ihnen rüberzugehen. Ich ging lieber mit, denn er ist manchmal ein Hitzkopf, und ich wollte nicht, dass etwas passiert“, erklärt Standa.
Jakub entschloss sich zunächst, mit den jungen Männern, beide bekleidet mit Bomberjacken und hohen Schnürstiefeln, zu sprechen. „Er fragte sie, ob sie wüssten, was Konzentrationslager seien und ob sie eine Ahnung hätten, wie sehr die Menschen dort gelitten haben.“ Zuerst kam es zwischen den vier jungen Männern zu einem kleinen Handgemenge, aber dann beruhigte sich die Situation und es blieb beim Dialog.
„Es kam total unerwartet. Wir redeten. Jakub fragte, was er täte, wenn er ein Zigeuner wäre, und in dem Moment stach ihn der jüngere Skinhead von hinten in den Hals. Jakub fiel zu Boden. Ich griff nach dem Messer, weil ich sah, wie der Typ zu einem zweiten Stich ansetzte“. Der andere Skinhead schnitt Standa dabei ins Ohr. „Als sie sahen, wieviel Blut Jakub verliert, bekamen sie wahrscheinlich Angst und liefen weg.“
Als erstes war die Stadtpolizei vor Ort, entfaltete aber nicht gerade große Aktivität. „Ich sagte ihnen, dass sie was tun und nicht nur so rumstehen sollen“, so Standa, der bei Jakub kniete und sich bemühte, mit seinem Pullover die Blutung zu stoppen. Bis der Krankenwagen kam, hatte Jakub drei Liter Blut verloren. Bis heute ist auf dem weißen Kiesweg ein großer rotbrauner Blutfleck sichtbar.
Beide Angreifer – ein 19-jähriger Slowake und sein drei Jahre älterer Kumpane aus Strakonice – wurden noch in der gleichen Nacht gefasst. Die Budweiser Kriminalpolizei beschuldigt sie des Mordversuches, und beide jungen Männer bleiben bis auf weiteres in Haft. Der jüngere Skinhead verletzte Jakubs Rückenmark, deshalb musste der Verletzte aus dem Strakonicer Krankenhaus per Helikopter in eine Brünner Spezialklinik gebracht werden.
Die Familie ist über den Vorfall verständlicherweise erschüttert. „Unser Jakub, so ein starker, gesunder Junge – und jetz kann er sich nicht bewegen“, sagt seine Großmutter Anna. „Heute denke ich, dass er eigentlich gut erzogen ist, weil er den Lumpen nicht erlauben wollte, Lügen zu verbreiten“, sagt sie mit fester Stimme, fängt dann aber doch an, zu weinen. „Dafür verdient er es doch nicht, zum Krüppel zu werden. Nein, er schafft es, er muss. Er hat eine Familie“, sagt Frau Anna.
Jakub ist der Vater eines eineinhalbjährigen Jungen, seine Freundin Monika ist im Mutterschaftsurlaub, also war der Maschinentechniker Jakub der Haupternährer der Familie. Jakubs Freundin will nicht mit den Medien sprechen, sie sei in schlechter psychischer Verfassung, entschuldigt sie sich. „Mein Sohn hat die richtige Sache getan, aber sie hat üble Folgen. Wenn das in einer Schlägerei geendet hätte, würde ich sagen, mach das genauso noch einmal. Aber nachdem das so schlimm endete, hätte ich ihn am liebsten davon abgehalten“, sagt Jakubs Vater ins Telefon. Er bewundert seinen Sohn vor allem dafür, wie er die Situation im Krankenhaus meistert. „Ich wäre am Boden zerstört, er lacht sogar. Ich bin stolz auf ihn“, sagt sein Vater.
Helfen will auch die Jüdische Gemeinde in Prag. „Gerade schrieb ich einen Artikel über antisemitische Reden, als ich im Internet von Jakubs Fall erfuhr. Mich hat das sehr bewegt“, erinnert sich der Vorsitzende der Gemeinde František Bányai. „Wir haben Hilfe angeboten, Jakub und seine Familie können entscheiden, wie sie aussehen sollte“, so Bányai. Auch in Strakonice will man helfen. Die örtlichen Punks und Antifa-Skins werden Ende Juni ein Benefiz-Konzert im Club „Křemelka“ veranstalten.
Aber nicht alle sind auf Jakubs Tat so stolz wie seine Familie. Der Bürgermeister von Jakubs Geburtsort Čejetice, Pavel Zach, sagt: „Ein anständiger Mann sollte um zwei Uhr morgens bei seiner Familie sein. Er hatte dort nichts verloren und schon gar nicht hätte er sich in etwas einmischen sollen. Sich nachts mit Skinheads zu unterhalten ist ungefähr so klug, wie in einer slowakischen Kneipe zu verbreiten, dass Jánošík (ein slowakischer Volksheld, Anm. d. Red.) ein Ungar war.“ So ähnlich sieht das nach Standas Angaben ungefähr die Hälfte der Čejeticer, und Besucher, die Unterstützung anbieten, kommen nicht gerade im Übermaß.
Jakub liegt in einem Dreibettzimmer. „Kommen Sie ruhig rein, ich kann mich nicht selbst umdrehen, um sie zu begrüßen“, sagt er mit dem Rücken zur Tür. Der große, schlanke junge Mann mit dem zerzausten Haar liegt auf der linken Seite und schaut fern. Er wirkt gar nicht traurig oder erschöpft, im Gegenteil, Energie hat er sichtlich genug. Mit energischer Stimme beantwortet er die Fragen und lacht immerzu über irgendetwas. „Bis jetzt tut es noch ziemlich weh, aber das sollte in etwa drei Wochen aufhören. Dann kann ich richtig mit dem Üben beginnen“, konstatiert er ruhig und massiert die linke Hand mit einem Gummi-Igel.
Über seinem Bett hängen Fotos seiner Familie: auf dem einen er und seine Freundin in Gala-Kleidung bei ihrem Abiturball, auf dem anderen sein lachender Sohn. „Der fehlt mir hier am meisten, ich habe ihn schon zwei Wochen nicht gesehen. Kinder dürfen hier nicht hin. Ansonsten kommen mich aber alle besuchen.“ Über die Schicksalsnacht will er nicht mehr viel sprechen. Auf Wunsch spult er die Geschichte zwar herunter, aber man merkt, dass es für ihn Vergangenheit ist. „Ich kann daran nichts mehr ändern, jetzt muss ich mich darauf konzentrieren, was ist und was sein wird“, sagt er.
Vorerst ist Jakub auf die Hilfe anderer angewisen. Die Schwestern drehen ihn alle zwei Studen in eine andere Position, füttern ihn, helfen ihm aufs Klo. Das alles würde er gerne bald ändern. „Ich hab schon den Rollstuhl versucht, aber trotz Schmerzmittel tat das höllisch weh“, beschreibt er lächelnd seinen ersten Versuch.
Jakub war in seiner Jugend Turniertänzer. „Sport mag ich immer noch gerne. Ich bowle, spiele Fußball und Fußballtennis“, zählt er auf. Gerade seine gute Kondition, seine Jugend und die Unterstützung seiner Familie können ihm helfen, wieder seinen ursprünglichen Gesundheitszustand zu erreichen. „Er ist voller Energie und schafft das. Er ist ein Typ, der nicht aufgibt“, sagt sein Bettnachbar. „Ich wünsche mir vor allem, dass ich bald richtig anfangen kann, an mir zu arbeiten“
Der Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift „Respekt“.
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