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Respekt auf Deutsch

Per Gesetz gegen Ohrfeigen

Als Ministerin Džamila Stehlíková vor kurzem angekündigt hat, Tschechien wolle Körperstrafen nach deutschem Vorbild grundsätzlich per Gesetz verbieten, entbrannte deshalb ein Sturm der Entrüstung bei Eltern und Experten.

  • Autor: Respekt
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Autor fotografie: Tomki Němec • Autor: Respekt
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Der Grund dafür liegt nicht nur darin, dass sich die Erziehung in Tschechien deutlich von dem unterscheidet, was sich in westeuropäischen Familien abspielt. Die tschechische Öffentlichkeit ist darüber hinaus auch kaum darüber informiert, wie das deutsche Gesetz in der Praxi funktioniert – und welchen Effekt es bisher hatte.

Bis der Affe hinter dem Steuer sitzt, dauert es eine kleine Weile. Schliesslich ist der Plastikgorilla gar nicht als Fahrer des grossen Holzlastwagens gedacht. Aber ihr Sohn, der kleine Prokop, will es nun einmal so. Und deshalb sitzt Markéta Hanzalová nun zwischen dem hölzernen Geschirrschrank und dem Feuerofen am Küchentisch ihres alten Hauses in Strančice, einem 1600-Einwohner-Dorf rund zwanzig Kilometer südostlich von Prag, und fummelt geduldig herum, bis das haarige Wesen hinter dem Steuer Platz genommen hat. Mit derselben Ruhe hat sie ihrem dreijährigen Sohn in der letzten Viertelstunde zuerst auf seinen Kinderstuhl gehoben, ihm dann wieder hinuntergeholfen, ihm einen Keks gegeben, dann ein Wasser geholt, ihn auf die Toilette begleitet und ihm erklärt, was auf der Postkarte zu sehen ist, die die Grossmutter vor kurzem geschickt hat. Zum Dank schlägt Prokop nun mit einem Plastikdinosuarier so laut auf den Tisch, dass man sein eigenes Wort nicht mehr versteht. Viele Mütter würden spätestens jetzt die Nerven verlieren, ihren Sohn vom Tisch weg zu zerren oder ihn gar ohrfeigen. Markéta Hanzalová sagt nur freundlich: „Prokop, hör auf, sonst kann ich gar nicht hören, was unser Besuch erzählt.“ Und Prokop hört augenblicklich auf zu stören.

Was für ein Quatsch

Marketa Hanzalova ist keine von den Super-Müttern, keine, die schon acht Monate vor der Geburt die Zeitschrift „Maminka“ abonniert, und die rund um die Uhr damit beschäftigt ist, die Intelligenz, die Musikalität oder das sportliche Talent ihrer Kinder zu fördern. Wie mittlerweile viele junge tschechische Eltern setzt die 33jährige Historikerin bei ihren drei Kindern grundsätzlich auf einen Erziehungsstil, der viel mit Fragen und Erklären und eher wenig mit Zwang und dem Einsatz von Körperstrafen zu tun hat. Trotzdem gab es durchaus schon Situationen, in denen Marketa ihren Sprösslingen auch körperlich gezeigt hat, wo die Grenzen des Erträglichen sind. „Wenn ich sehr müde bin, kommt es schon mal vor, dass ich die Kinder anschreie – und meine sechsjährige Tochter habe ich sogar schon zweimal im Affekt geohrfeigt“, erzählt sie. „Besonders bei kleinen Kindern bin ich ausserdem davon überzeugt, dass ein Klaps auf den Po manchmal das einzige effektive Mittel ist, um das Kind zur Räson zu bringen. Als ich deshalb neulich in der Zeitung gelesen habe, dass die Ministerin Džamila Stehlíková Körperstrafen in der Erziehung per Gesetz verbieten will, dachte ich nur: Was für ein Quatsch“, sagt Marketa. Und mit diesem Urteil ist sie keineswegs allein.

Nicht nur bei vielen Eltern, sondern auch bei tschechischen Experten hat der Vorschlag der Ministerin für Menschenrechte und Minderheiten Kopfschütteln und heftige Kritik ausgelöst - und Stehlíkovás Hinweis, dass sich das neue tschechische Gesetz am deutschen Vorbild orientieren soll, hat die Gemüter hierzulande keineswegs besänftigt. Zwar löst in der tschechischen Öffentlichkeit jeder neue Fall von grausamer Kindesmisshandlung, von dem in den Zeitungen berichtet wird, stest aufs neue allgemeines Entsetzen aus. Doch mit Kindesmisshandlung hat ein Klaps oder eine Ohrfeige aus tschechischer Sicht nicht das geringste zu tun. Sie dient im Gegenteildem Kindeswohl: Haben wir die Ohrfeigen unserer Eltern schliesslich nicht auch ohne Schaden überstanden? Hat nicht gerade die antiautoritäre Erziehung in Westeuropa dazu geführt, dass die dortige Jugend keinerlei Regeln mehr kennt? Hat sich der Staat in einem demokratischen Rechtsstaat nicht grundsätzlich aus Fragen der Erziehung in den Familien herauszuhalten? Und ist es wirklich richtig, wenn Eltern wegen einer Ohrfeige in Zukunft vor Gericht gezerrt und zu einer saftigen Geldstrafe verurteilt werden?

Die bisherige Debatte über eine gewaltfreie Erziehung zeigt nicht nur, dass viele tschechische Eltern, Pädagogen und Psychologen in der Kindererziehung aller Internationalisierung zum Trotz von anderen Prämissen und Erkenntnissen ausgehen als dies in Deutschland, den skandinavischen Staaten oder Österreich der Fall ist. Zum anderen offenbart sie auch ein grosses Defizit auf Seiten der tschechischen Regierung. Denn bislang ist es offenbar nicht gelungen, der Öffentlichkeit zu vermitteln, wie die gesetzliche Regelung in Deutschland eigentlich in der Praxis aussieht Und deshalb ist nicht nur die Frage, was die Tschechen heutzutage eigentlich unter einer richtigen Erziehung verstehen. Die Frage ist auch, welchen Efekt das Gesetz in Deutschland seit seinem Inkrafttreten 2000 tatsächlich hatte.

Irgendwann zahle ich´s Dir heim

„Als ich zur Schule gegangen bin, haben sich meine Freundinnen, am Tag, an dem es Zeugnisse gab, die Strumpfhose am Po immer mit Kissen ausgestopft, damit die Tracht Prügel zuhause nicht so schmerzhaft war.“ Wenn Eva Vaničková von ihrer Kindheit berichtet, muss sie fast immer lachen. Nicht nur, weil sie das Glück hatte, dass ihre Eltern körperliche Strafen ablehnten. Sondern auch, weil die Härte der damaligen Erziehung aus heutiger Sicht schon beinahe absurd anmutet. Seit 1992 kämpft Eva Vaničková mit der von ihr gegründeten Společnost na ochranu deti für ein gesetzliches Verbot körperlicher Strafen. Sie leitet mehrere Notruf-Hotlines für Kinder, hat mehrere Bücher über Gewalt in der Erziehung veröffentlicht. Und 2003 übernahm sie schliesslich den Vorsitz im Ausschuss für Kinderrechte – von dem nun auch der Vorschlag für das neue Gesetz ausgeht.

„Körperstrafen gefährden die die gesunde Entwicklung eines Kindes gleich in mehrfacher Hinsicht“, sagt Eva Vaničková. „Sie bringen einem Kind bei, dass es in Ordnung ist, Gewalt anzuwenden, sie lehren es, dass es keinen Repekt verdient und sie bringen ihm bei, seine Gefühle zu unterdrücken“, fährt sie fort. „Zugleich rufen Körperstrafen im Kind grossen Zorn und Wut auf die Eltern und echte Rachegedanken hervor. Und oft führen sie auch zu Ängstlichkeit – aus Angst vor weiteren Schlägen.“

Die Tschechische Republik hat sich bereits 1990 in der UN-KInderrechtskonvention verpflichtet, alle Kinder auf ihrem Teritorium vor Folter und grausamer oder erniedrigender Bbehandlung zu schützebn. Im Juni dieses Jahres wollen das Justizministerium und das Ministerium für Arbeit und Soziales zudem die erste Nationale Strategie zur Verhinderung von KIndesmisshandlung vorlegen. Eva Vaničková weiss allerdings nur zu gut, dass das Problem nicht darin besteht, die zuständigen Politiker zu überzeugen. Die eigentliche Heruasforderung ist, Unterstützung bei Eltern und Experten zu finden.

„Seit der Wende ist die Erziehung in Tschechien allgemein schon deutlich liberaler, die Sensibilität der Eltern für ihre Kinder wächst vor allem in den grossen Städten“, erzählt Vaničková in ihrem Büro an der 3. Medizinischen Fakultät der Prager Karls-Universität. „Trotzdem wissen wir aus Studien, dass noch immer rund 80 Prozent der tschechischen Kinder Erfahrungen mit körperlichen Strafen haben. Und wenn ich in die Schulen gehe und dort Viert- oder Fünftklässler frage, ob ihre Eltern manchmal auch Gegenstände benutzen, um sie zu verhauen, dann erfährt man, dass manche Mütter ihre Kinder tatsächlich mit dem Kochlöffel um den Tisch jagen. Ist das Erziehung? Ich nenne das eine Farce.“

Warten auf das Versagen

Dass die Erziehung in Tschechien seit der Wende weniger autoritär geworden sei, dass Ohrfeigen oder eine Tracht Pügel jedoch nach wie vor zu den gängigen Erziehungsmethoden gehören – diese Einschätzung teilen die meisten Kinderexperten hierzulande. Der Grund dafür, dass körperliche Strafen in tschechischen Familien noch immer an der Tagesordnung sind, liegt offenbar nicht nur darin, dass der Komunismus die Tschechoslowakei von den grossen Debatten und jener Reformpädagogik fernhielt, die in den sechziger und siebziger Jahren unter dem Stichwort „Anti-autoritäre Erziehung“ in den USA und Westeuropa boomte. „Auch seit der Wende interessieren sich die meisten Tschechen im Grunde kaum für das Thema Erziehung“, beklagt Václav Mertin, Psychologe an der Karls-Universität. „Solange mit dem eigenen Kind keine grösseren Probleme auftreten, beschäftigen sie sich nicht damit, ob das, was sie da tun, richtig ist. Und eine Gesellschaft, die nicht diskutiert, die kultiviert sich auch nicht.“ Dass der Erziehungsstil der meisten tschechischen Eltern alles andere als günstig für die Entwicklung der Kinder ist, darin sind sich die meisten tschechischen Pädagogen und Psychologen ebenfalls einig. „Die tschechische Erziehung legt leider nach wie vor den Schwerpunkt auf das Strafen und nicht auf eine positive Bestärkung“, sagt die Klinische Psychologin Zora Dušková, die seit acht Jahren das Kinder-Krisenzentrum in Prag 4 leitet. „Besser wäre es, das Kind zu loben, es zu belohnen, wenn es etwas gut gemacht hat. Aber in Tschechien warten die Lehrer und die die Eltern meistens immer nur darauf, dass das Kind irgendwie versagt, um dieses Verhalten dann negativ zu beurteilen. Die Folge ist, dass viele Tschechen auch im Erwachsenenalter ein ziemlich geringes Selbstbewusstsein haben und sich wenig zutrauen.“ Auch Václav Mertin meint, dass tschechische Eltern sich etwas mehr Gedanken darüber machen sollten, ob ihre Erziehungsmethoden dem Ziel ihrer Erziehung wirklich zuträglich sind: „Wenn ich aus meinem Kind einen selbstbewussten, kreativen und kritischen Menschen machen will, ist schon die Frage, ob Ohrfeigen der Weg dorthin sind“, sagt er. Und doch: Obwohl die meisten professionellen Erzieher den tschechischen Erziehungsstil insgesamt für durchaus verbesserungsfähig halten, lehnen sie das von Džamila Stehlíková vorgeschlagene gesetzliche Verbot von Körperstrafen in der Erziehung gleichzeitig ab. Die Frage ist nur, warum.

Ohne Ohrfeigen kommt das Chaos

Die bunte Farbigkeit des Therapieraums im Krisenzentrum für Kinder und Familien in České Budějovice steht in bewusstem Gegensatz zu der bedrückten Stimmung, in der die meisten Klienten hierherkommen: Nicht nur der Tepich und die Wände, auch die Möbel leuchten in allen denkbaren Farben. Auf dem Regal an der Wand sitzen jede Menge Puppen. Es sind männliche und weibliche Puppen. „Damit die Kinder, die hierherkommen, die Situation in ihrer Familie eindeutig nachspielen können“, erzählt Libuše Vlášková, die als Sonderpädagogin an der Südböhmischen Universität unterrichtet und die Einrichtung leitet. 2003 wurde das Kinderzentrum von der Südböhmischen Universität und dem Bezirk Südböhmen gegründet – um Kindern, die misshandelt oder sexuell missbraucht werden, Hilfe anzubieten und Eltern, die nicht mehr mit ihren Kindern zurechtkommen, Unterstützung zu geben. „Die meisten Familien, die wir betreuen, sind durch eine Scheidung in eine schwierige Situation gekommen“, erzählt Libuše Vlášková. „Oft ist es etwa so, dass der neue Partner der Mutter nicht mit dem Sohn aus der ersten Ehe zurechtkommt. Und dann entstehen zum Teil heftige Konflikte.“ Doch nicht nur Scheidungen, auch der ständig grösser werdende Zeitdruck, die hohe Belastung durch den Job, die vielen einander widerstrebenden Ansprüche, denen vor allem berufstätige Mütter tagtäglich gerecht werden sollen, führen dazu, dass Familien immer weniger Zeit für Kommunikation bleibt – für Vlášková der Hauptgrund, warum es innerhalb der Familien so häufig zu Spannungen kommt, die sich bisweilen gewaltsam entladen. Von einem Gesetz, das Körperstrafen verbietet, halten jedoch weder die Direktorin noch ihre Mitarbeiterin, die Psychologin Ivana Kundrátová, viel.

„ Ich bin überhaupt nicht für harte Körperstrafen“, sagt Ivana Kundrátová. „Aber es gibt Situationen, in denen eine massvolle Züchtigung durchaus ihre Berechtigung hat. Vor allem kleine Kinder verstehen nicht, wenn man ihnen lange Erklärungen abgibt. Da hilft ein Klaps auf den Po besser. Und durch die Windel spürt es diesen Klaps ohnehin nicht als Schmerz. Bei Kindern ab zwölf finde ich körperliche Strafen aber nicht mehr gut“, betont sie. Ihre Chefin Libuše Vláškova hingegen findet eine Körperstrafe auch bei älteren Kindern nicht grundsätzlich schlecht. „Eine Ohrfeige schadet einem Kind nicht“, meint sie. „Jedenfalls ist das keine derart gewichtige Sache, dass das Parlament deswegen ein Gesetz verabschieden müsste. Einen sofortigen Effekt wird so ein Gesetz ohnehin nicht haben. Und ausserdem kann es missbraucht werden, etwa indem Kinder dann behaupten, zuhause Ohrfeigen zu bekommen, auch wenn das gar nicht wahr ist.“

Das eigentliche Problem in Tschechien sei die brutale Kindesmisshandlung, bei denen Eltern ihre Kinder hinter verschlossenen Türen würgen, unter Wasser tauchen, hungern lassen oder krankenhausreif schlagen. Auch psychische Misshandlungen griffen immer weiter um sich. „Und dagegen hilft das Gesetz doch sowieso nicht“, meinen die beiden Frauen.

Eine nicht zu harte Ohrfeige von Zeit zu Zeit schadet dem Kind nicht. Und das Gesetz trifft sicherlich die Falschen. So lauten die beiden wichtigsten Argumente, mit denen nicht nur fast alle tschechischen Kinderexperten, sondern auch viele Eltern das geplante Gewaltverbot ablehnen. Interessant ist dabei, dass die tschechische Öffentlichkeit das Gewaltverbot als Versuch interpretiert, tschechischen Familien jenen anti-autoritären Erziehungsstil aufzuzwingen, der in den USA und Westeuropa nur Schlechtes gebracht habe.

So meint etwa Zora Duškova, die Leiterin des Kinder-Kriosenzentrums in Prag, auf die Frage, ob eine Ohrfeige dem Kind schade: „Ich bin eindeutig gegen Ohrfeigen, das ist eine erniedrigende und gefährliche Form der Bestrafung, denn das gesicht ist ein sehr empfindlicher Teil des Körpers. Andererseits muss man ein Kind aber auch erziehen, eine Erziehung, die dem Kind keine klaren Grenzen aufzeigt, ist nicht gut. Hören Sie sich doch mal an, wie hilflos die Lehrer heute auch in Tschechien schon gegenüber ihren Schülern sind, weil ihnen keine effektiven Mittel zur Durchsetzung gegenüber den Schülern zur Verfügung stehen. Deshalb bin ich gegen die allzu liberale westliche Erziehung.“

Auch die Leser des Internet-achrichtenportals „aktuálně.cz“, die vor kurzem in einem online-Gespräch mit Fragen an Ministerin Stehlíková wenden konnten, waren zum einen empört darüber, „wie ein arroganter Staatsbeamter seine Nase überhaupt in die Erziehung meiner Kinder stecken kann“. Zum anderen waren sie alles andere als überzeugt davon, dass eine Erziehung ohne Ohrfeigen Kinder zu „anständigen“ Mitgliedern der Gesellschaft machen kann. „Frau Ministerin, sie argumentieren damit, dass durch das gesetzliche Gewaltverbot in Deutschland die Zahl der KIndesmisshandlungen zurückgegangen sei. Ich frage sie aber: WIe ist seitdem die Agressivität der Kinder angestiegen?“ lautete eine Frage. Und so lohnt es sich tatsächlich, einen genaueren Blick darauf zu werfen, warum Deutschland das Gewaltverbot eigentlich eingeführt hat, wie das Gesetz in Deutschland tatsächlich „funktioniert“ - und welchen Effekt es dabei bis heute hatte.

Wie man ein Kind zum Gewalttäter macht

„Wir haben in Deutschland auch drei Jahrzehnte auf das Gesetz gegen Gewalt in der Erziehung gewartet.“ Der 53jährige Jurist und Soziologe Kai Bussmann ist Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität im ostdeutschen Halle. Seit mehreren Jahren befasst er sich intensiv mit dem Thema „Gewalt in der Erziehung“ – und so hat er in den letzten Jahren im Auftrag der Bundesregierung zwei umfangreiche Studien erstellt, die untersuchen, welche Auswirkungen das neue Gewaltverbot auf die Erziehungsmethoden deutscher Eltern tatsächlich hatte. „Wie heute die Fachleute in Tschechen haben bei uns konservative Politiker aus der CSU immer wieder damit argumentiert, dass die Eltern um ihre Autorität gebracht werden, wenn sie keine Körperstrafen einsetzen dürfen. Dabei herrscht zwischen deutschen Fachleuten schon seit den 1970er Jahren Einigkeit darüber, dass Körperstrafen in der Erziehung nichts zu suchen haben“, erzählt er. „Doch erst die rot-grüne Bundesregierung hat im Jahr 2000 ein Verbot körperlicher Strafen ins Gesetz eingefügt. Dabei geht es nicht um eine vereinzelte Ohrfeige. An einer Ohrfeige zerbricht ein junger Mensch nicht“, meint Bussmann. „Aber wer regelmässig geschlagen wird, der erleidet nicht nur perönliche Schäden. Er wird mit einiger Wahrscheinlichkeit später auch die Gesellschaft schädigen. Denn wenn Sie sich mal ansehen, aus was für Familien die meisten Gewalttäter kommen, stellen Sie schnell fest: Bis zu 30 Prozent der Täter haben als Kinder selber Gewalt erfahren. Kein anderer Faktor erklärt Gewalttätigkeit so gut wie eine gewalttätige Erziehung.“

Während viele Tschechen also davon ausgehen, dass physische Autorität die Entstehung von Gewalt beim Kind verhindert, gehen die Kriminologen in Deutschland davon aus, dass eine regelmässige Tracht Prügel das Kind erst zum Gewalttäter macht.

Das Ziel des deutschen Gesetzes besteht deshalb nicht darin, einen Vater oder eine Mutter vor Gericht zu bringen, nur weil ihm oder ihr hin und wieder öffentlich die Hand ausrutscht. Das eigentliche Ziel des Gesetzes ist ein umfassender Wandel der gesellschaftlichen Haltung zu Fragen der Kindererziehung. Dabei geht es darum, dass Kinder nicht länger nur als Objekte der elterlichen Erziehungsgewalt betrachtet werden, sondern als Subjekte mit eigener Persönlichkeit und prinzipiell denselben Rechten wie Erwachsene sie haben. Und es geht darum, dass die Gesellschaft nicht länger gleichgütig zusieht, wenn Eltern ihre Kinder vernachlässigen, unangemessen hart bestrafen oder gar misshandeln. Einer Studie der UNICEF zufolge sterben in Deutschland jede Woche zwei Kinder an den Folgen der „Erziehung“ ihrer Eltern. Im achtmal kleineren Tschechien ist es nach Angaben des „Fond ohrožených dětí“ jede Woche eines. Viele dieser Kinder könnten gerettet werden, wenn die Nachbarn und die Verwandten nicht disket wegsehen, sondern sich einmischen würden. Doch wie soll ein Gesetz einerseits eine Kriminalisierung ganz „normaler“ Eltern vermeiden, und trotzdem ein neues Instrument gegen Gewalt gegen Kinder schaffen?

Das Unrechtsbewusstsein wächst

Der entscheidende Punkt liegt darin, dass das deutsche Verbot von Körperstrafen nicht ins Strafgesetzbuch, sondern ins Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen wurde. In Paragraph 1631 heisst es da: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Massnahmen sind unzulässig.“ Die Tatsache, dass es sich hierbei um eine Vorschrift des Bürgerlichen Gesetzbuchges handelt, ist wichtig auch für die tschechische Diskussion. Denn genau wie in Deutschland soll das Verbot von Körperstrafen auch in Tschechien nicht durch eine Änderung des Strafrechts, sondern durch einen neuen Paragraphen im Gesetz über die Familie geregelt werden. Und das hat einen guten Grund.

„Weil das Verbot von Körperstrafen nicht im Strafgesetzbuch steht, besteht für die Jugendämter und die Familienberatungsstellen wohl die Möglichkeit, aber keine Pflicht, die Polizei einzuschalten, wenn sie Zeugen von körperlicher Bestrafung werden“, erklärt Kai Bussmann. „Und so ist die Zahl der Strafanzeigen gegen Eltern in den letzten Jahren sogar deutlich gesunken. Zwar ist eine Ohrfeige in Deutschland heute tatsächlich die unterste Stufe der Körperverletzung, die ein bis zwei Jahre Gefängnis einbringen kann“, sagt er. „Doch in der Praxis ist es bisher nur zu wenigen Anzeigen und Prozessen gekommen.“

So hat etwa die völlig entnervte Mutter, die ihrem quengelnden Kind an der Supermarktkasse eine Ohrfeige verpasst, in Deutschland noch nie vor Gericht gestanden. „Für diese Situation haben doch alle leute verständnis. Wer zeigt denn so jemanden an?“ meint Bussmann. „In den wenigen Fällen, in denen es tatsächlich zu Prozessen gekommen ist, habe es sich um Eltern gehandelt, die ihre Kinder wirklich häufig und stark misshandelten“, sagt Bussmann. „Die Vorstellung, dass in Deutschland tausende von Eltern vor Gericht gezerrt wurden und jetzt im Gefängnis schmoren, ist also völlig falsch“, sagt Kai Bussmann. Doch welchen Effekt hat ein Gesetz überhaupt, das offenbar so selten tatsächlich zur Anwendung kommt?

Wer erwartet hat, dass die Anwendung körperlicher Strafen durch das Gesetz sofort deutlich zurückgeht, der muss vom Ergebnis der Studien, die Kai Bussman 2001 und 2005 im Auftrag der Bundesregierung durchgeführt hat, enttäuscht sein. Denn tatsächlich ist die Zahl der Ohrfeigen und Prügel seit Einführung der Verbots nur geringfügig zurückgegangen. 58,7 Prozent der deutschen Eltern gaben 2001 an, ihrem Kind ab und an eine leichte Ohrfeige zu geben. 2005 waren es 53,7 Prozent. Der starkste Rückgang war in der Kategorie „Po mit der Hand versohlen“ zu verzeichnen (von 26, 4 Prozent im Jahr 2001 auf 19,4 Prozent vier Jahre später). Gleichzeitig stiegen Strafen wie „Fernsehverbot“ oder „Taschengeldkürzung“ leicht an. „Dass sich das Verhalten der Eltern nicht rasch änder würde, war klar“, meint Bussmann. „Sowas dauert immer lange.“ Entscheidender ist seiner Meinung nach die Frage, ob das Gesetz tatsächlich den angestrebten Bewusstseinswandel in Erziehungsfragen bewirkt habe. Und dabei ist, wie Bussmann Studien zeigen, die neue Vorschrift überaus erfolgreich.

Noch 1996 waren 80 Prozent der Eltern davon überzeugt, leichte Körperstrafen seien zulässig. 2005 waren es bei den Eltern, die das neue Verbot kannten, nur noch 47,5 Prozent. Egal ob Klaps auf den Po, Ohrfeige oder eine Tracht Prügel mit dem Stock – wer von dem Gewaltverbot gehört hat, ist eher der Meinung, dass diese Strafen nicht zulässig seien, als Eltern, die das neue Gesetz nicht kannten. Kai Bussmann ist daher der Meinung, dass das Gewaltverbot die Eltern nicht verunsichert habe, sondern ihnen im Gegenteil einen klaren Massstab dafür liefere, wie sie sich verhalten sollen. „Wie in Tschechien ist die Misshandlung von Kindern natürlich auch in Deutschland schon sehr lange verboten“, sagt Kai Bussmann. „Doch das Problem dabei ist immer: Was heisst eigentlich Misshandlung? Ist es schon Misshandlung, wenn ich meinem Kind ein paar blaue Flecken beibringe? Oder ist der Ausdruck „Gewalt“ erst dann zutreffend, wenn der Krankenwagen kommen muss? Das neue Gewaltverbot gibt Eltern wie Richtern einfach eine klare Definition vor“, sagt Kai Bussmann. „Körperliche Strafen sind nicht erlaubt. Und Punkt.“

Es geht uns alle an

Doch nicht nur die Eltern und Richter, auch die Nachbarn, Feunde und Kollegen, haben, so Bussmann, dank des neuen Gesetzes mehr Sicherheit, wie sie sich verhalten sollen, wenn sie Zeugen von Kindesmisshandlung werden. „Früher haben die Leute in Deutschland gesagt: Das ist mein Kind und wie ich es erziehe, geht Sie gar nichts an.“, erzählt Kai Bussmann. „Wer sein Kind heute in der Öffentlichkeit schlägt, muss sich gefallen lassen, dass andere Leute das Recht haben, ihn darauf anzusprechen und ihn zu fragen, weshalb er das tut und ob das wirklich gut ist. Und tatsächlich wenden sich heute wesentlich mehr Leute an die Familienberatungsstellen, wenn die Nachbarkinder oft verhauen werden. Und diese Hilfseinrichtungen können dann mal nachsehen, was in der Familie eigentlich los ist.“

Dass das neue Gesetz die Arbeit der Kinderschutz- und Familienberatungsstellen sehr erleichtert, bestätigt auch Heike Heubner-Christa. Die 43jährige Sozialpädagogin ist Geschäftsführerin der Dresdner Ortsgruppe des Deutschen Kinderschutzbundes, eine der wichtigsten deutschen Organisationen, die sich für den Schulz und die Rechte von Kindern einsetzen. Wie die meisten ihrer tschechischen Kolleginnen, ist auch Heike Heubner-Christa absolut gegen eine anti-autoritäre Erziehung, die dem Kind keinerlei Grenzen setzt. Trotzdem hat sie sich jahrelang für ein Verbot von Körperstrafen eingesetzt – und ist heute sehr froh über das neue Rechtsmittel. „Das Gesetz gibt uns vor allem in solchen Familien, in denen viel geschrien und geschlagen wird, ganz neue Möglichkeiten an die Hand. Denn solche Eltern dazu zu bewegen, an sich und ihrem Verhalten zu arbeiten, ist nicht ganz einfach. Früher waren wir da oft machtlos. Jetzt können wir sagen: Körperstrafen sind verboten, denken Sie dadran. Und wenn Sie nicht mit uns kooperieren und versuchen, Ihren Erziehsungsstil zu verändern, dann zeigen wir Sie eben an.“

Und was ist mit der Befürchtung, das Gewaltverbot würde die Familien zerstören, weil aufmüpfige Teenager ihre Eltern ständig mit einer Anzeige drohen? „Ja, das haben die Gegner bei uns auch lange Jahre gesagt“, lacht Kai Bussmann. „Aber jeder, der sich mit Gewalt in der Familie befasst weiss, dass Kinder ihre Eltern so sehr lieben, dass sie selbst, wenn die Eltern sie tatsächlich misshandeln, häufig nicht gegen sie aussagen wollen“, sagt Kai Bussmann. „Ein Kind, das seine Eltern anzeigt, gefährdet seine eigene Zukunft. Und das machen Kinder nicht.“ Gleichzeitig sei aber zu beobachten, dass das gesetz in vielen Familien einen Diskussionsprozess über Erziehungsziele und –methoden in Gang gesetzt hat. „Vor allem Jugendliche, die das Gesetz kennen, sprechen ihre Eltern heute deutlich häufiger auf den Erziehungsstil, auf Strafen oder auf gewaltfreie Alternativstrafen an“, erzählt Kai Bussmann. „Und dabei haben weniger als fünf prozent der Eltern berichtet, das gespräch habe Streit ausgelöst. Dafür meinten über 44 prozent, das Gespräch sei entspannend für das Familienklima gewesen.“

Ein Gesetz allein reicht nicht

Kein unmittelbarer Rückgang der Körperstrafen also, dafür mehr Klarheit über die Grenzen elterlichen Erziehungsrechts, mehr Diskussionen über Erziehung und mehr soziale Kontrolle dort, wo zwischen Eltern und Kindern fast alles schiefläuft – diese bisherige Bilanz des deutschen Gewaltverbots zeigt, dass viele Befürchtungen, die Eltern und Fachleute in Tschechien hegen, unbegründet sind. Ein gesetzliches Verbot von Körperstrafen führt nicht zur massenhaften Kriminalisierung harmloser Eltern. Gleichzeitig stellt auch ein solches „weiches“ Gesetz ein durchaus effektives Instrument dar, um das Klima aus Gleichgültigkeit, unangebrachter Diskretion und diner allgemeinen Toleranz fragwürdiger Erziehungsmethoden der Eltern zugunsten der Kinder zu verändern. Offensichtlich ist daher, dass die tschechische Regierung bislang allzu wenig Mühe darauf verwandt hat, Eltern und Experten zu erklären, wie das neue Gesetz in Tschechien eigentlich aussehen soll. Denn auch wenn das Gesetz derzeit noch in Paragraphenform gegossen werden muss und wohl erst im Mai der Regierung zugleitet werden wird - wenn man Eva Vaničková, der Vorsitzenden des Rates für Kinderrechte glauben darf, wird auch das tschechische Gesetz keineswegs sofort harte Geldstrafen für ein paar Ohrfeigen einführen, wie die tschechischen Medien in den letzten Tagen immer wieder behauptet haben. „Wir werden wohl drei Sanktionsstufen vorschlagen“, sagt Eva Vaničková. „Und in den ersten beiden Stufen geht es erstmal nur darum, dass die Behörden Eltern, die oft zu intensiven Körperstrafen greifen, etwa zur Teilnahme an Fortbildungskursen in Sachen Kindererziehung schicken oder ihnen eine Therapie verordnen. Eine Geldstrafe ist wirklich erst die ultima ratio“, sagt sie.

Doch nicht nur die mangelhafte Kommunikation mit der Öffentlichkeit ist etwas, woran die Regierung wird noch arbeiten müssen. Auch das ganze System des KInderschutzes bedarf in Tschechien einer dringenden Modernisierung. „Körperstrafen per Gesetz zu verbieten, bringt alleine noch nicht viel“, sagt Kai Bussmann. „Gleichzeitig muss eine intensive Informationskampagne laufen, denn nur wenn die Eltern auch wissen, dass die Ohrfeige verboten ist, werden sie ihre Einstellung ändern. Zum zweiten brauchen Sie ein gutes Netz an Familienberatungsstellen und Sozialarbeitern, die Familien, die Schwierigekiten mit der Erziehung haben, zeigen, wie es besser geht.“

Ob ein Verbot von Gewalt in der Erziehung in Tschechien dieselben positiven Auswirkungen haben wird wie in Deutschland, hängt also nicht allein vom Gesetzestext ab, sondern von dem institutionellen Umfeld und von der Art und Weise, wie etwa die Jugendämter das neue Gesetz anwenden. Denn vor allem auf die Fähigkeit der tschechischen Behörden, das neue Gesetz sinnvoll umzusetzen, bezieht sich ein grosser Teil der Skepsis, die Eltern und Experten hierzulande gegenüber dem Gesetzesvorhaben empfinden. „Bei uns hier in der Strasse,“ erzählt Markéta Hanzalová aus Strančice zum Abschied, „da wohnt eine Familie, in der alle Alkoholiker sind. Ich weiss, dass das nicht das ideale Umfeld für die drei Kinder da ist. Aber wenn ich jetzt zum Amt gehen würde, dann kämen diese Kinder wahrscheinlich ins Heim. Und ob das dann wirklich besser wäre?“

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