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Respekt auf Deutsch16. 7. 20065 minut

Love Parade ohne Knüppel

Auf den ersten Blick sieht er so aus, als würde er nicht hierher gehören. Der Mann mittleren Alters in T-Shirt und Leinenhosen steht am Straßenrand und beobachtet unbewegt über seine Sonnenbrille die sich im Technorhythmus bewegende Menge.

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Author: Respekt
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Ein problematischer Technofreak? Wir müssen ihn ganz einfach überreden. So lautete die Erfahrung des Antikonfliktteams der tschechischen Polizei aus Berlin.

Auf den ersten Blick sieht er so aus, als würde er nicht hierher gehören. Der Mann mittleren Alters in T-Shirt und Leinenhosen steht am Straßenrand und beobachtet unbewegt über seine Sonnenbrille die sich im Technorhythmus bewegende Menge.

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Er wirkt, als nähme er die hunderttausenden leicht bekleideten Mädchen, die sich küssenden Paare und tanzenden Männer oben ohne gar nicht war. Der Direktor der Ordnungspolizei Čestmír Pastyřík beobachtet die Arbeit der Polizisten jedoch äußerst wachsam. Dieses Wochenende verbrachte er mit weiteren vier Kollegen in Berlin, auf der berühmten Love Parade, um das deutsche Vorgehen bei der Vorbeugung von Gewalt auf Massenveranstaltungen zu beobachten und somit den Einsatz der Antikonfliktteams bei CzechTek vorzubereiten.

Die Arbeit freiwillig machen

Seine Aufmerksamkeit gilt vor allem den Polizisten in den gelben Westen mit der Aufschrift „Antikonfliktteam“. Geduldig antworten sie den Technofreaks und Zusehenden auf Fragen wie „Wo ist die Toilette“ oder die „nächste U-Bahnstation“. Ihr wichtigstes Ziel besteht jedoch darin, Aggressionen abzubauen und einem polizeilichen Eingriff vorzubeugen. Häufig stehen sie auch an Straßensperren, wo sich die Teilnehmer aufregen, dass die Polizei ihre Taschen durchsucht. In assertiver Weise erklären sie ihnen, dass diese Maßnahme für alle Beteiligten von Nutzen ist. Sobald sich jedoch die ungeschützten Polizisten in Gefahr befänden, würden sie die Ordnungseinheiten rufen. „Das Mitglied eines Antikonfliktteams sollte einen möglichen Täter ganz einfach überreden und ihn mit den möglichen Folgen seines Handelns bekannt machen,“ lautet das Fazit von Pastyřík, der die Entstehung dieser Einheiten in Tschechien vorbereitet. Diese Polizisten haben Stadtpläne zum Verteilen in ihren Taschen, ein Navigationssystem, Bonbons oder Ohrstöpsel. Sie sind standardmäßig ausgerüstet, nur der Knüppel und die Schutzteile der Bekleidung fehlen.

„Dass Polizisten Bonbons verteilen oder sich mit Technofreaks fotografieren lassen, ist in Tschechien einstweilen undenkbar,“ meint der Psychologe der Einsatzpolizei in Ostrava, Štěpán Klen. „Zu den wichtigsten Voraussetzungen zählt, dass die Polizisten diese Arbeit freiwillig machen. Nur so können sie sie gut machen,“ bemerkt der Chef der Antikonfliktteams auf der Love Parade, Eckhardt Lazai. „Weiterhin sollten sich alle eingesetzten Polizisten eine gemeinsame Identität aufbauen. Ansonsten entsteht ganz schnell die Vorstellung von der guten Polizei in den gelben Westen und der bösen, die verhaftet,“ fügt der Chef der Bereitschaftspolizei in Berlin Marco Langner hinzu. Čestmír Pastyřík lobt die mehrjährige tschechisch-deutsche Zusammenarbeit und die Möglichkeit, aus den deutschen Erfahrungen zu lernen. Die Antikonfliktteams sind dort bereits sieben Jahr im Einsatz. Ursprünglich interessierte sich die tschechische Polizei für die Arbeit der Krisenbrigaden in Frankreich, vor einem Jahr nahm sie jedoch an einem Einsatz der deutschen Polizei während der Mai-Feiern teil und die Entscheidung war klar. „Die Berliner Polizei gehört zur europäischen Spitze und außerdem gelten in Frankreich andere polizeiliche Befugnisse,“ erklärt Pastyřík die Orientierung auf Deutschland.

Erst beim Verlassen verhaften

Am meisten interessierten sich die tschechischen Polizisten bei der Love Parade für die Organisationsstruktur des Einsatzes. „In Berlin haben sie mehr Kameras zur Dokumentation rechtswidriger Handlungen,“ meint Pastyřík. Damit wollen sie die Polizeieinsätze einschränken. Früher schritt man sofort ein, wenn in der Masse etwas passierte. „Heute zeichnen wir die Ordnungswidrigkeiten auf Video auf und warten, bis sich die Masse auflöst. Eine Person, die während der Aktion eine Straftat beging, verfolgen wir und verhaften sie erst beim Weggehen, um die Rechte der übrigen nicht zu bedrohen,“ erklärt der Einsatzleiter der Berliner Bereitschaftspolizei, Alfons Worlitz.

Die tschechischen Antikonfliktteams befinden sich einstweilen im Probebetrieb. In Ústí nad Labem ist man der Überzeugung, dass eher Polizisten in Zivil mit möglichen Straftätern kommunizieren können, in Ostrava dagegen wird eine Uniform verlangt. Über die einheitliche Ausrüstung und genaue Vorbereitung der Polizei wird Ende des Jahres entschieden. In diesem Jahr fanden in Tschechien bereit die ersten Einsätze statt – in Ostrava während eines Fußballspiels und in Ústí nad Labem. „Zwei mögliche Straftäter von einer Straftat abzuraten ist eine viel größerer Sieg als zehn Täter nach einer Tat festzunehmen,“ argumentiert Pastyřík. Er hofft, dass die Antikonfliktteams auch jetzt während CzechTek helfen werden. 15 ausgewählte Polizisten in gelben Westen werden vor allen an den Zufahrtswegen eingesetzt, diese werden Konflikte auf verbale Weise verhindern und an die Anwohner Flugblätter mit Informationen über den Verlauf der Aktion und darüber verteilen, wie ihre Sicherheit gewährleistet wird. „Die Antikonfliktteams sind ein Service der Polizei, damit die Leute ihr Versammlungsrecht uneingeschränkt wahrnehmen können“ meint Lazai, verabschiedet sich von seinen tschechischen Kollegen und verschwindet in der Masse der Technofreaks. Die Autorin ist Redakteurin des Tschechischen Rundfunks.


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