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Respekt auf Deutsch16. 6. 20065 minut

Neue Sperren auf uralten Waldwegen

Als sich Tschechien und die Slowakei vor zehn Jahren trennten, dachten die Bewohner an der neu entstandenen Grenze, dass die EU sie bald wieder vereinigen würde. Doch ein halbes Jahr vor dem Beitritt kommen sie aus dem Staunen nicht mehr heraus: Auf den Waldwegen und zwischen den Häusern der Dörfer tauchen neue Sperranlagen auf.

Astronaut

Als sich Tschechien und die Slowakei vor zehn Jahren trennten, dachten die Bewohner an der neu entstandenen Grenze, dass die EU sie bald wieder vereinigen würde. Doch ein halbes Jahr vor dem Beitritt kommen sie aus dem Staunen nicht mehr heraus: Auf den Waldwegen und zwischen den Häusern der Dörfer tauchen neue Sperranlagen auf.

Frau Zajacová blinzelt in die Herbstsonne und spannt die Muskeln. Mühsam hebt sie die schwere schwarz-weiße Eisenbarriere hoch, die zwischen Haustür und Garagentor steht. Als es ihr gelingt, die funkelnagelneue Grenzsperre zu stemmen, fällt ein Metallteil herunter. „Und jetzt kriege ich das nicht mehr zurück. Wahrscheinlich sperren sie mich ein.“

Die Teilung der Tschechoslowakei hat bei den Einwohnern von Konečná Verwirrung hervorgerufen. Ihre Gemeinde zieht sich bis zur Grenze hin; dort geht sie in den slowakischen Ort Klokočov über. Irgendwann einmal war das eine Siedlung und mit einer Teilung rechnete niemand. Wenn heute die tschechischen Landhaus-Bewohner zum Einkauf, zur Schule oder zum Arzt in die nahegelegene tschechische Ortschaft Bílá wollen, müssen sie erst mal die Grenze überqueren. Denn ein tschechischer Feldweg mündet in eine slowakische Asphaltstraße. Die führt sie zum Grenzübergang. Dort stehen sie in der Schlange an, absolvieren die notwendigen Formalitäten und sind wieder daheim, zurück in Tschechien. Anders geht das nicht.

Eigentlich sollte es keine Probleme geben, gilt doch für die einstigen Mitbürger der ehemaligen Tschechoslowakei eine Sonderregelung. Tatsächlich ist der Grenzübergang alles andere als angenehm. „Wir müssen jeden Einkauf zeigen“, sagt Frau Drabínova, die Nachbarin von Frau Zajacová. „Sie kontrollieren uns der Reihe nach, wie alle anderen auch. Entscheidend ist, ob sich der Zollbeamte wichtig machen will oder nicht.“

Zehn Jahre nach der Trennung ist die Mauer zwischen beiden Teilen wieder ein Stückchen höher geworden. Auf dem Feldweg wurden neue Sperren aufgebaut, sie sperren die Grenze für Fahrzeuge ab. „Ziel der Maßnahme ist es, illegale Migration zu verhindern“, erklärt Klára Krejčí, Pressesprecherin der Grenzpolizei. Die umklappbaren Barrieren aus schwarz-weißen Röhren zieren die Wege entlang der gesamten tschechisch-slowakischen Grenze. Sie sperren 235 Waldwege ab und kosten die Staatskasse zwölf Millionen Kronen (umgerechnet rund 400 000 Euro).

Die tschechischen Beamten wollen sich zu den Barrieren nicht äußern und verweisen auf die Pressestelle. Dafür sorgt das Thema bei ihren slowakischen Kollegen für anhaltende Heiterkeit. „Wir werden sie gut behüten“, sagt einer unter brüllendem Gelächter der Kollegen. Können die sechzig Zentimeter hohen Einrichtungen Flüchtlinge aufhalten? „Allmächtiger, dann kommt eben ein Auto von einer Seite und ein anderes von der anderen Seite.“ Die Männer in slowakischen Uniformen versuchen einander zu übertönen: „So macht man das heute. Oder die gehen zu Fuß rüber.“ Die Pressesprecherin der Grenzpolizei sieht das anders: „Wenn es die Sperren nicht gäbe, würden die mit einem Auto fahren. So müssen sie anhalten und umsteigen. Und da ist die Chance doch größer, dass wir sie fassen.“

Frau Drabínová findet das gar nicht komisch, und Flüchtlinge hat sie vor ihrem Haus auch noch nicht gesehen. „Die sind einfach gekommen und haben den Weg aufgebuddelt. Mein Mann hat sich ins Auto gesetzt und ist nach Bílá gefahren, zum Bürgermeister und zur Polizei. Aber die konnten nichts machen. Sie haben uns einen Schlüssel für die Sperre versprochen. Aber selbst wenn sie uns den geben – mein Mann ist krank und ich komme mit dem Kram nicht zurecht.“ Zweimal die Woche muss ihr Mann zum Arzt in Tschechien, im Winter muss ihn ein Krankenwagen abholen. „Bald fällt Schnee. Der Schneepflug kann nicht durch die Sperre. Wie kommen wir dann weg von hier.“

Der Bürgermeister von Bílá, Vitězslav Kubačák, ist hilflos: „Als sie uns das im Januar mitgeteilt haben, haben wir Eingaben geschrieben und eine Delegation in den Senat nach Prag geschickt“, erzählt er. „Sie haben uns versprochen, dass es irgendwie gelöst wird.“ Im April kam die Mitteilung, dass die Sperren gebaut werden. „Wir haben geschrieben, dass wir damit nicht einverstanden sind. Seit der Zeit herrscht Schweigen.“ Dafür begannen drei Wochen später die Bauarbeiten.

Im 30 Kilometer entfernten Velké Karlovice weiß man von der Existenz neuer Barrieren nichts. „Das höre ich zum ersten Mal“, wundert sich der Bürgermeister Jiří Jurečka. „Es hat sich noch niemand beschwert, also scheint es kein Problem zu geben.“

Doch wenige Kilometer weiter, im kleinen tschechischen Dorf Podťaté weiß man entschieden mehr. „Was soll ich ihnen da sagen“, meint Herr Chromčák mit verschwörerischem Blinzeln. „Am Wochenende bin ich hier langgefahren und da war die Sperre einfach da. Also musste ich zurück.“

Die Sperren stehen hier auf Jahrzehnte alten Waldwegen, welche die Einheimischen gut kennen. Doch benutzen können sie sie nicht mehr. „Das ist verboten, also müssen wir es sein lassen“, sagt Herr Chromčák und seine Augen schweifen über die Wälder am Horizont. „Bis ins slowakische Makov sind es von hier eigentlich nur fünf Kilometer. Auf der Landstraße über den Grenzübergang fünfzehn. Hin und zurück macht das zwanzig Kilometer mehr.“ „Was soll´s“, sagt er zum Abschied „ dann geh ich eben zu Fuß zum Pilzesammeln.“

Tschechische Fassung hier.

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