Das schöne Wort Enteignung
Gleich zweimal diskutierten die Abgeordneten bei dieser Sitzung über die Rechte von Personen, über deren Grund und Boden Straßen gebaut wurden oder werden sollen. Eine Gruppe von Parlamentariern brachte einen Gesetzesentwurf ein, mit dessen Hilfe diese zugunsten des Autobahnbaus leichter enteignet werden können.
Gleich zweimal diskutierten die Abgeordneten bei dieser Sitzung über die Rechte von Personen, über deren Grund und Boden Straßen gebaut wurden oder werden sollen. Eine Gruppe von Parlamentariern brachte einen Gesetzesentwurf ein, mit dessen Hilfe diese zugunsten des Autobahnbaus leichter enteignet werden können. Dann erinnerte der Ombudsmann Otakar Motejl das Parlament daran, dass der Staat immer noch nicht rund acht Milliarden Kronen an die Personen gezahlt hat, deren Grund und Boden vor 1990 wegen des Baus von Straßen weggenommen wurde. Motejls Hinweis gab der Frage ein noch größeres Gewicht, ob es nicht eher im öffentlichen Interesse liegt, den Starrsinn der Landeigentümer zu unterstützen als den Bau neuer Straßen, da die Landbesitzer im Vergleich zu den Straßenprojektanten recht schwach sind.
Schlaflose Nacht
Die Eltern von Ludmila Havrankova besaßen in Placice – einem Vorort von Hradec Kralove – eine der größten Bauernwirtschaften. Nach dem Krieg konfiszierten die Kommunisten die Ländereien. Ihr Vater wurde für sechs Jahre in das Internierungslager Jachymov verschleppt. Nach der Wende 1989 begann die Familie auf den zurückerhaltenen sowie weiteren gepachteten Feldern Weizen, Rüben und Mohn anzubauen. „Schon damals wussten wir, dass über unsere Felder die Autobahn führen soll“, sagt Frau Havrankova. „Darum beantragten wir beim Grund- und Bodenfonds Ersatzflächen, um die Angelegenheit nicht zu verkomplizieren.“ Die Familie Havranek bot im Austausch für seine Ländereien an, 80 Hektar vom Grund- und Bodenfonds zu pachten. Doch Frau Havrankova erhielt von der Behörde auf keinen ihrer Schreiben eine Antwort. Ihr wurde lediglich ohne Begründung mitgeteilt, dass der bestehende Vertrag aufgehoben werde und die gepachteten Ländereien an einen anderen Interessenten verkauft worden seien. Erst 1998 meldete sich der Staat bei Havraneks: Die Straßen- und Autobahndirektion forderte sie zum Verkauf ihrer Grundstücke auf, auf denen die Autobahn gebaut werden soll. Dazu die Drohung: „Wenn Sie den von uns beigefügten Kaufvertrag nicht innerhalb von 30 Tagen unterschreiben, erfolgt eine Enteignung“, hieß es in dem behördlichen Schreiben schroff. Das Fass zum Überlaufen brachte eine Wahlkampfveranstaltung im Gasthaus des Dorfes. Dort, wo einst ihr Vater verhaftet und ins Lager geschickt wurde, habe der damalige Oberbürgermeister von Hradec Kralove, Dvorak, erklärt: „Frau Havrankova, in zwei Stunden sind Sie enteignet“, berichtet die verzweifelte Frau. „Ich habe vor Angst die ganze Nacht nicht geschlafen.“ Denn wenn die Familie einen Teil ihrer Ländereien verlieren würde, könnte sie sich andere in der Umgebung von Hradec Kralove zu Listenpreisen von der Straßen- und Autobahndirektion nicht leisten, der Haushalt ihres privaten Landwirtschaftsbetriebes würde zusammenbrechen. „Ich hatte 15 Millionen Kronen Schulden bei Personen in der Region, denen ich Restitutionsansprüche abgekauft hatte“, erzählt Ludmila Havrankova. „Mit einer kleineren Anbaufläche könnte ich die Raten nicht mehr zahlen.“ In jener durchwachten Nacht entschloss sie sich, Hilfe zu suchen: „Mein Selbsterhaltungstrieb sagte mir: Gegen diese Willkür musst du dich wehren.“ Gleich am nächsten Tag schloss sie sich mit Umweltschützern zusammen und beauftragte den bekannten Rechtsanwalt Petr Kuzvart, sie bei Gericht zu vertreten. Bald darauf verkaufte sie 67 Personen für den symbolischen Preis von einer Krone ein Stück ihres Grundbesitzes. Das Geschäft war für beide Seiten von Vorteil. Die Umweltschützer boten dem Investor an: Wir geben die Flächen heraus, wenn die Trasse so geändert wird, dass der Auenwald bei Libice keinen Schaden nimmt. Frau Havrankova war nicht mehr allein, sie hatte Verbündete. Doch der Plan der Umweltschützer ging nicht auf. Der Investor lachte nur und ließ den Wald fällen. Dafür zahlte sich die Transaktion für Frau Havrankova aus. Die Umweltschützer halten den Autobahnbau erfolgreich auf. „Jeder der 67 Umweltschützer kann uns heute sagen: ich kann Ihnen meinen Anteil nicht verkaufen, wenn ich ihn noch nicht allen anderen Miteigentümern angeboten habe“, beklagt Alois Lichnovsky von Seiten des Investors. „Einer ist in Argentinien, der andere verschollen, der andere überführt seinen Anteil gerade auf einen anderen – es ist ein endloser Prozess.“
Zu welchem Preis?
Die Praxis aber zeigt, dass es bei uns in der Tat nur wenige Personen wie Frau Havrankova gibt, die auf ihr Recht bestehen. So wenige, dass es – im Blick auf die Bedeutung des privaten Eigentums – im öffentlichen Interesse ist, eher ihr Verhalten zu unterstützen, als ihnen Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Um so mehr, weil der Autobahnbau – entgegen aller Beschwerden der Investoren – wie geschmiert läuft. So gab es gegen die Autobahn D 3 von Prag über České Budejovice bis zur tschechisch-österreichischen Grenze nur drei Personen, die dagegen Widerspruch einlegten. Zwei von ihnen sind Ausländer und der dritte, Josef Nemecek aus Sudomerice, hat gleich nach der ersten Verhandlung mit dem Bauamt aufgegeben. „Ich wollte hier keine Autobahn“, sagt er. „Dann habe ich mir jedoch gesagt, wenn die Leute im Dorf sie wollen, gebe ich eben nach. Doch ich dachte mir, dass ich als Eigentümer wenigstens den Preis bestimmen kann. Doch auf dem Bauamt bekam ich zu hören: Auf keinen Fall, die Preise wurden durch eine Verordnung festgelegt. Die Beamten nannten mir alle Gesetze und Paragraphen und drohten: Wenn Sie nicht verkaufen, werden Sie enteignet. Da habe ich eben verkauft, was soll ich mir noch unnötige Scherereien machen. Zum Schluss hätte man mir noch alles weggenommen und nicht mal eine Krone gezahlt.“ Andere Dorfbewohner haben die Möglichkeit, ihre Felder verkaufen zu können, sogar begrüßt: „Die Felder bestellen will sowieso keiner von ihnen, das Geld kam ihnen gerade recht.“
Doch die mächtigen Straßenbauer sind trotzdem immer noch nicht zufrieden. Sie verbanden sich mit den Abgeordneten von Hradec Kralove, Jiri Hanus (Christdemokraten), Hana Orgonikova (Sozialdemokraten) und Vlastimil Dlab (Kommunisten). Diese erarbeiteten den Straßenprojektanten einen auf den Leib geschneiderten Gesetzesentwurf. Nach diesem Entwurf, den das Parlament derzeit gerade erörtert, würde im Falle von Grundstücken, über die eine Autobahn führen soll, die Regel wegfallen, dass ein Verkauf zunächst Miteigentümern angeboten werden muss – wie im Fall der 67 Umweltschützer, die Anteile an den Ländereien von Frau Havrankova erworben haben. Der Gesetzesentwurf schränkt auch die Möglichkeiten der Landeigentümer ein, sich vor Gericht zu verteidigen. Die Enteignung von Besitztümern, wem immer sie auch gehören, ist in Tschechien im öffentlichen Interesse möglich. Frau Havrankova hat heute die große Chance zu beweisen, dass sie dem Staat jahrelang eine Vereinbarung angeboten hatte, doch dieser keinen Wert darauf legte. „Der neue Gesetzesentwurf besagt dagegen, dass der Eigentümer bei Ablehnung des Investor-Angebots als Person eingestuft wird, mit der man nicht verhandeln kann“, erläutert Pavel Cernohous von der Rechtsanwaltskanzlei Kuzvart, die die Interessen von Frau Havrankova vertritt.
Darum dachte sich das Bauamt des Magistrats von Hradec Kralove, das die Enteignungen vornimmt, für den Fall Havrankova eine Finte aus. Damit das Gericht nach den neuen gesetzlichen Bestimmungen sein Urteil fällt, muss das begonnene Enteignungsverfahren eingestellt und später ein neues aufgenommen werden. „Dazu brauchen sie mein Einverständnis und das gebe ich nicht“, sagt die Landbesitzerin. „Ich habe nichts gegen Verhandlungen, doch bleibe ich dabei, dass ich Ersatzflächen für meine Felder haben will.“
Der Gesetzentwurf der Abgeordneten hebt zudem die interessanteste Frage auf, die die bisherige Rechtssprechung den Gerichten zur Entscheidung überlässt: Worin besteht das öffentliche Interesse? „Damit begründen die Umweltschützer in den meisten Fällen ihre Klagen und Berufungen. Sie fragen, was größeres Gewicht für die Öffentlichkeit hat, der Schutz der Natur oder der Bau einer Autobahn“, sagt Alois Lichnovsky. Zuletzt wurde diese Frage bei der Autobahn Prag – Dresden durch das Böhmische Mittelgebirge aufgeworfen. „Die Umweltschützer behaupteten, dass es wichtiger sei, zwei seltene böhmische Ebereschen nicht zu fällen, als die Autobahn schnell weiter zu bauen. Sie argumentierten gegen die heutige Variante zugunsten eines Tunnelbaus. Wir mussten beim Umweltministerium eine Ausnahmeregelung beantragen. Der neue Gesetzesentwurf würde die Vorbereitung großer Bauvorhaben vereinfachen, beschleunigen und möglicherweise auch kostengünstiger werden lassen.“ Vorerst ist der Entwurf durch die Stimmen der bürgerlichen ODS und der liberalen Freiheitsunion (US-DEU) gescheitert. Ganz abgelehnt worden ist er jedoch nicht, sondern er wurde lediglich in die zweite Lesung zurückverwiesen. „Meines Erachtens beschneidet er unangemessen stark die Eigentumsrechte und die Umweltschutz-Anforderungen“, meint der Abgeordnete der US-DEU Antonin Pelc. „Ja, wir müssen das Autobahn- und Schnellstraßennetz fertigstellen, aber bitte nicht um jeden Preis.“
Öffentliches Interesse
Enteignung ist in Tschechien nach der Menschenrechts-Charta im öffentlichen Interesse möglich, sofern der Investor beweisen kann, dass eine Einigung nicht möglich war, gegen Entgelt und nur in den Fällen, die durch andere Gesetze festgelegt sind, vor allem im Baugesetz (zum Beispiel im Interesse des Baus von Autobahnen und Straßen, Gasleitungen, eines Wasser- und Abwassernetzes sowie der Verlegung von Telefonkabeln oder der Sicherung des Zugangs zu Baustellen und Grundstücken). Ferner gibt es Bestimmungen im Bergbau-Gesetz sowie im Gesetz über militärische Gebiete. In der Slowakei können Enteignungen auch bei Industriezonen vorgenommen werden, sofern ein großer Investor Interesse äußert. Das ist in Tschechien nicht möglich – trotz großer Anstrengungen mehrerer Politiker, die mit diesem Versuch auf den Widerstand der berühmten Bürgerin Marketa Regecova aus Hranice na Morave reagierten. Sie hatte sich dagegen gewehrt, ihre Ländereien zugunsten des Baus einer Produktionshalle von Philips unter Wert zu verkaufen. Die Bauämter, die über die Enteignungen entscheiden, gehen in der Tat bürokratisch vor. „Es sollte gleich ein Gericht entscheiden und nicht wir“, sagt die Leiterin des Bauamtes in Tabor (zuständig für den Fall Josef Nemecek), Jitka Dolezalova. „Schließlich handelt es sich um einen Eingriff in die Eigentumsrechte. Wir sind hier alles Ingenieure. Ein Gesetz sollte ein Jurist auslegen“, erläutert Frau Dolezalova und fügt hinzu: „Was ist das öffentliche Interesse? Ein Bauvorhaben, das im Territorialplan als gemeinnützig ausgewiesen ist.“ Rechtsanwalt Cernohous hält dagegen: „So einfach ist das nicht. Man kann prüfen, ob es tatsächlich im öffentlichen Interesse ist, gerade auf dem umstrittenen Grundstück zu bauen, ob die Kreuzung wirklich so breit sein muss, dass man sie mit hoher Geschwindigkeit überqueren kann.“ Auch bei der anderen Frage, dem Beweis, dass mit dem Eigentümer keine Einigung möglich war, gibt sich das Bauamt strikt bürokratisch. „Die Bedingung ist erfüllt, wenn der Investor nachweist, dass er schriftlich mit dem Landeigentümer Kontakt aufgenommen und ihm den Listenpreis für sein Grundstück angeboten hat“, sagt Jitka Dolezalova. „Mehr kann von öffentlicher Seite gar nicht gezahlt werden.“ Eine derartige Auslegung führt zu einer solchen absurden Situation wie im Fall von Frau Havrankova. Jahrelang ist sie mit ihren Angeboten, zu einer Einigung zu finden, bei den Beamten auf arrogante Gleichgültigkeit gestoßen. Der staatliche Investor schließlich verstand eine Abmachung so, dass er sie schroff zur Unterschrift unter den von ihm selbst entworfenen Kaufvertrag aufforderte.
Tiefer Sumpf
Premysl Setnicek aus Ricany wurde in den sechziger Jahren ein Grundstück weggenommen, 330 Quadratmeter. Auf einem Teil davon wurde eine Straße gebaut. „Wir mussten damals selbst die Scheune abreißen. Die Kommune drohte uns, ansonsten eine Firma zu schicken, die wir hätten bezahlen müssen“, erinnert sich Setnicek. 30 Jahre später forderte er die Rückgabe dieses Grundstücks und weiterer, die die Kommunisten konfisziert hatten. Er erfuhr eine interessante Neuigkeit: Das Grundstück, über das die Straße führt, kann ihm nicht zurückgegeben werden, weil es ihm immer noch gehört. So wandte er sich an die Straßen- und Autobahnverwaltung mit der Bitte, ihm das Grundstück abzukaufen oder ihm ein Ersatzgrundstück zu geben. „Doch sie machten keine Anstalten dazu“, beklagt Setnicek. Die Angelegenheit zog sich über Jahre hin, bis die Straßen der zweiten und dritten Kategorie aus der staatlichen Verwaltung in die Verwaltung der Regionen überging. Der 80-jährige Mann begann, mit der Verwaltung des Mittelböhmischen Bezirks zu verhandeln. Das ging genauso aus. Ersatzfläche gibt es nicht und Geld, um das Grundstück abzukaufen, auch nicht. Der Bezirksrat hat ihm nicht einmal den Anspruch zugestanden, Pacht verlangen zu dürfen. Das Gericht schließlich gab Setnicek teilweise Recht. Es beauflagte den Bezirk, rückwirkend für die Jahre 2000 bis 2003 Pacht zu zahlen – 4.600 Kronen (rund 150 Euro) pro Jahr. Im vergangenen Jahr hat der Bezirk keine Pacht mehr gezahlt und Sednicek geraten, wieder vor Gericht zu ziehen. Ähnliche Forderungen gibt es allein im Mittelböhmischen Bezirk etwa 40. Wenn alle Grundstücke abgekauft würden, kostete dies den Bezirk nach eigener Schätzung rund 800 Millionen Kronen. Der Bezirk hat nichts dagegen unter der Bedingung, dass der Staat für diese Kosten aufkommt. Einige ähnlich betroffene Bürger haben sich an den Ombudsmann Otakar Motejl gewandt. Dieser rief in seinem Bericht für das Jahr 2003 die Regierung dazu auf, sich zu seiner Schuld gegenüber tausender Menschen zu bekennen. Umsonst. Darum machte er jetzt von seinem Recht Gebrauch, die Parlamentarier anzusprechen, der Regierung Beine zu machen. „Aus mehreren Fällen habe ich erkannt, dass es ein Systemfehler ist“, sagt Motejl. „Es hat sich gezeigt, dass es sich hier um einen tiefen Sumpf handelt.“ Er verlangt, dass die Regierung im Haushalt für das nächste Jahr insgesamt acht Milliarden Kronen für diese Menschen einstellt. Das Parlament forderte die Regierung auf, bis zum 30. Juni einen Bericht vorzulegen, wie dieses Problem zu lösen sei.
Tschechische Fassung
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