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Respekt auf Deutsch16. 6. 20064 minuty

Krebsgeschwür Korruption

Wenn in Tschechien über Korruption gesprochen wird, kommt immer wieder ein tragikomisches Beispiel aus den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts zur Rede. Damals entstand im deutsch-tschechischen Grenzgebiet ein Gürtel aus Betonbunkern und –befestigungen.

Astronaut

Wenn in Tschechien über Korruption gesprochen wird, kommt immer wieder ein tragikomisches Beispiel aus den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts zur Rede. Damals entstand im deutsch-tschechischen Grenzgebiet ein Gürtel aus Betonbunkern und –befestigungen. Gebaut wurde an ihm auch dann noch, als die deutsche Wehrmacht Österreich besetzt hatte und die Tschechoslowakei vom unbefestigten Süden angreifen konnte. Schließlich stand ein gewaltiger Betonierungsauftrag zur Dispostion, der nicht von heute auf morgen aufgehoben werden konnte. Auch dann nicht, wenn die dort verbetonierten Gelder anderswo dringend benötigt wurden. War das Korruption? Der Historiker Jan Tesař, Experte für die Zeit der ersten Tschechoslowakischen Republik, ist davon überzeugt. Er weiß, dass die Tschechen schon damals diesbezüglich einen schlechten Ruf hatten.

Seitdem sind sieben Jahrzehnte verstrichen, und die Korruption hängt den Tschechen wie ein Fluch an. Oder genauer gesagt: der Ruf, korrupt zu sein. Im internationalen Vergleich von Transparency International rutscht Tschechien Jahr für Jahr weiter zurück, befindet sich in trauter Nachbarschaft mit den Staaten des Balkans und Südamerikas. Und die politisch Verantwortlichen des Landes kämpfen seit Jahren verbal mit kompromisslosen Vorhaben gegen die Bestechlichkeit. Tatsächlich fehlt ihnen bis heute die Fähigkeit – oder Bereitschaft – eine wirkliche Handhabe gegen Korruption zu schaffen.

Dabei ist nichts so gefährlich für eine demokratische Gesellschaft wie das Krebsgeschwür der Korruption. In den Menschen nährt sie die Überzeugung, dass über Erfolg nicht Fähigkeit und Fairplay entscheiden, sondern Verderbtheit und die Bereitschaft, andere zu betrügen und krumme Wege zu gehen. Der Erfolg als solcher ist dann diskreditiert als eine verdächtige Angelegenheit; dessen Träger hat nichts Besonderes erreicht. Vielmehr ist es ihm gelungen, geschickter als andere Gesetze, Vorschriften und Moral zu umgehen. Auf politischer Ebene äußert sich das dann in einem fundamentalen Misstrauen gegenüber jeglicher Autorität und dem Verdacht, hinter jedem Parteibüro verberge sich nichts als Schmutz. Das demokratische System wird ausgehöhlt, gültige Gesetze verlieren an Gewicht, entscheidend ist nur, rücksichtslos sein Ziel zu verfolgen. Wie soll aber ein Staatsmechanismus sich gegen diese Krankheit wehren?

Die Frage kann aber auch provokativ gestellt werden. Können in einem korrumpierten Land überhaupt korrumpierte Politiker dazu bewegt werden, etwas gegen die Korruption zu tun? Möglich ist auch das, dafür gibt es aktuelle Beispiele. Ein Blick in die benachbarte Slowakei genügt. Dort werden korrupte Richter, Rechtsanwälte und andere mit lebenslangem Berufsverbot bestraft. Die Rezepte sind einfach, sie sind sogar schon getestet.

Woran es mangelt, ist der politische Wille. Ein Beispiel sind die öffentlichen Aufträge. Alle wissen, dass dabei bestochen wird. Alle kennen auch die Lösung für dieses ganz konkrete Problem: maximale Transparenz, keine Geheimnisse vor der Öffentlichkeit. Aber was tun die tschechischen Politiker? Sie wiederholen immer wieder ihre Phrasen vom Geschäftsgeheimnis. Warum? Weil es ihnen in Tschechien einfach gemacht wird.

In der Gesellschaft fehlt der konsequente Wille, gegen Korruption mit allen Mitteln vorzugehen. Bis zu 80 Prozent der Befragten gaben bei einer Erhebung zu, kein Problem damit zu haben, Bestechungsgelder zu zahlen, um ihr Ziel zu erreichen. Das sei letztlich der bequemere Weg als der offene Wettbewerb oder gar der Kampf mit einer ineffektiven und unzuverlässigen Staatsbürokratie. Erst wenn dieser Teufelskreis durchbrochen wird, wenn die ersten offenen Konflikte ausgetragen und Gerichtsprozesse angestrebt werden, erst dann kommt es im Kampf gegen die Korruption zu einem Durchbruch. Das hat einen Vorteil. Niemand muss warten, bis die Politiker „oben“ erste Schritte gegen die Bestechlichkeit einleiten. Jeder kann hier selbst Hand anlegen.

Tschechische Fassung hier.

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