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Respekt auf Deutsch

Verlieren wir Kundera nicht

Die illegale Übersetzung des Romans Die Identität ist noch immer im Internet zugänglich und niemand weiß, wie sich Milan Kundera denen gegenüber verhalten wird, die ihm aus reiner Bewunderung als Leser sein geistiges Eigentum stahlen.

Autor fotografie: Profimedia.cz/AFP, www.profimedia.cz • Autor: Respekt
Autor fotografie: Profimedia.cz/AFP, www.profimedia.cz • Autor: Respekt

Die illegale Übersetzung des Romans Die Identität ist noch immer im Internet zugänglich und niemand weiß, wie sich Milan Kundera denen gegenüber verhalten wird, die ihm aus reiner Bewunderung als Leser sein geistiges Eigentum stahlen. Am ehesten wird er wohl seinen Spaß daran haben, handelt es sich doch um eine herrlich ironische Situation, geradezu wie ein Ausschnitt aus seiner Prosa: ein Schriftsteller verzichtet auf seine Muttersprache, wird weltberühmt und lehnt es ohne Erklärung ab, sein Werk an „seine Leute“ herauszugeben. Die bestrafen ihn, indem sie es ihm stehlen. Die Kommentare in der tschechischen Presse reflektieren Befriedigung, dass wir Tschechen es Kundera endlich gezeigt haben und dass er es verdient. „Seine Einstellung ist zynisch, wenn auch verständlich,“ schreibt MF Dnes. Als hätte sich Milan Kundera schuldig gemacht, als würde er uns seine gesammelten Werke auf Tschechisch schulden. Nur – was schulden umgekehrt die Tschechen ihm?

Große Rückkehr unmöglich

Milan Kundera ist ein Beispiel für das Sprichwort, dass der Prophet im eigenen Land nichts gilt. Der nicht informierte Zeitungsleser könnte denken, dass Kundera ein viel schlechterer Schriftsteller als beispielsweise Miloš Urban ist und er nie etwas Erfolgreiches geschrieben hat. Normal wäre es, sich zu freuen, dass ein tschechischer Schriftsteller Weltruhm erlangt hat, wobei es von Nutzen wäre, seinen Erfolg zu analysieren, nur genau das geschieht nicht. Die Tschechen sind wahrscheinlich irritiert, dass sich Kunderas Erzählung nicht vor allem an sie, sondern an das internationale Publikum wendet. Und über kalte Rezensionen und Bemerkungen lassen wir ihn wissen: Möglichweise erkennt dich die ganze Welt an, jedoch müsstest du dich viel mehr bemühen, damit auch wir, deine Leute, dich gern haben.

Schade, dass sich die Raubübersetzer statt Die Identität nicht den Roman Die Ignoranz (oder vielleicht Die Unwissenheit) aus dem Jahre 2002 ausgesucht haben. Dieser stellt Kunderas Abrechnung mit den Begriffen Rückkehr, Heimat, Exil und Tschechismus dar und zählt gleichzeitig zu den Höhepunkten seines Schaffens. Es handelt sich um die Geschichte zweier tschechischer Auswanderer, eine Parallele zum Odysseus-Mythos und der Großen Rückkehr nach Hause. Odysseus irrte zwanzig Jahre im Ausland herum und dachte an das heimatliche Ithaka. Nur die Ithaker lebten inzwischen ihr alltägliches Leben und dachten überhaupt nicht an Odysseus. Ithaka ist Odysseus definitives Schicksal, aber Odysseus ist überhaupt nicht das Schicksal der Ithaker. Seine Rückkehr nach Hause ist für seine Landsleute kein feierlicher Moment. Sie fragen nicht, was er erlebt hat, möchten nur von sich reden. Die große Rückkehr ist unmöglich. Josef und Irena, die Helden aus Ignoranz, treffen sich im Flugzeug nach Prag. Er lebt in Dänemark, sie in Frankreich und sie kehren nur zu einem kurzen Besuch nach Hause zurück. Ihr Leben hat bereits woanders Wurzeln gefasst. Sie flirten miteinander und vereinbaren ein Treffen im Hotel. Irena kennt Josef, da er ihr vor zwanzig Jahren den Hof machte. Sie hat ihn nie vergessen. Josef aber erinnert sich nicht mehr an sie, täuscht es nur vor. Es handelt sich um den Typ einer erotischen Begegnung, der sich in Kunderas Prosa ständig wiederholt: gleichzeitig rührend und zynisch, flüchtig und schicksalhaft. Es geht um nichts und gleichzeitig um alles. Josef und Irena erleben jeder für sich das Scheitern der Großen Rückkehr. Die Passagen über die tiefe Intimität, die das Heimatland in dem Rückkehrer erwecken kann, über die Untertöne, die nur diejenigen hören und teilen können, die in der gleichen Kultur aufgewachsen sind, gehören zu den weltweit besten Texten zum Thema Exil und zu dem Besten, was Kundera je schrieb. Ignoranz ist ein unsagbar trauriges Buch, jedoch mit großer Hoffnung am Ende. Die nicht geglückte Rückkehr bedeutet nämlich keinen Verlust, sondern die Erkenntnis, dass Heimat und Identität nicht nur mit dem Ort der Erinnerungen verbunden sind. Wir alle sind auf die eine oder andere Weise entwurzelt und jeder von uns sucht nach seinem Ithaka und bleibt ihm treu. Josef ist seiner verstorbenen Frau und ihren gemeinsamen Ritualen geistig treu. Er kehrt mit dem Bewusstsein der unauflöslichen Treue dem Besten gegenüber, das ihm das Leben gab, nach Skandinavien zurück.

Warum versuchte Kundera nicht, zumindest dieses weltweit erfolgreiche Buch von Schlüsselbedeutung ins Tschechische zu übertragen? Heißt das, dass er die tschechischen Leser verachtet? Für einen Autor von Kunderas Generation und seiner Qualitäten bedeutet Literatur mehr als das Leben. Schreiben heißt, tiefere Strömungen zu erfassen, die geheimen Chiffren der Zusammenhänge, Mythen, politischen Geschehnisse zu enträtseln. Das heißt, in die Zukunft zu gehen und den Weg zu zeigen. Schreiben in dieser Auffassung ist ein Gebet oder eine okkulte Tätigkeit und Kunderas fehlende Bereitschaft, ins Tschechische zu übersetzen, hängt damit zusammen. Seine französischen Texte kann nämlich nur er richtig in die tschechische Sprache übertragen. Das aber bedeutet, das Buch noch einmal zu schreiben, was mindestens ein Jahr Arbeit darstellt. Soll sich ein Schriftsteller voller neuer Pläne nur deshalb darauf einlassen, um auf der zum Teil Amateurszene zu erscheinen, um dann in den hiesigen Zeitungen zu lesen, dass es wieder nichts Besonderes war? Ein weiteres Problem ist, dass Kundera nicht fähig ist, ein Buch für immer abzuschließen. Unendlich lange revidierte er die neue Ausgabe der Lächerlichen Lieben. Ein zweites Mal hat er keine Lust dazu, weshalb er wahrscheinlich die Herausgabe der beim Škvorecký Verlag erschienenen Bücher blockiert.

Hören wir auf zu spotten und versuchen wir zu verstehen. Seine Romane wirken leicht, dabei blieb Kundera ein komplizierter, ambivalenter Autor für diejenigen die mehr als Unterhaltung in den Büchern suchen. Zu Hause haben wir keinen derartigen Romanschriftsteller, im Übrigen gibt es überall nur wenige derartiger großartiger Autoren. Zu Frankreich gehört Kundera wegen seines intellektuellen Umfeldes, basierend auf der französischen Aufklärung und dem Libertinismus, und gleichzeitig auf dem Erbe des europäischen Romans. Beides verwendet er als Werkzeug, um die modernen intimen menschlichen Beziehungen und Wandlungen traditioneller Begriffe wie das Gefühl der Zugehörigkeit zu untersuchen. Der tschechischen Zugehörigkeit! Es tauschte die Sprache, aber seine Themen, Figuren und Konflikte sind wegen ihrer Intimität und ihres tragikkomischen Tons zutiefst tschechisch. Milan Kundera erhob tschechische Traumen und typische Eigenschaften zu einem internationalen Thema. Er muss im Rahmen der großen Kultur leben und schreiben, aus der Distanz sieht er die tschechische Problematik jedoch oft genauer als die einheimischen Autoren.

Für den Anfang

Kundera ist überempfindlich auf Kritik. Die Ignoranz ging in allen Sprachen um die Welt und erst als klar war, dass es sich um einen Bestseller handelt, erschien das Buch auf Französisch. Damit kann er als in sich gekehrter Zyniker erscheinen, jedoch zeugt sein Bedürfnis, sich selbst immer wieder zu korrigieren und jede noch unbedeutende Kritik Ernst zu nehmen, eher von innerer Unsicherheit. Bücher schreibt man allein und lange, meistens für jemanden und Unverständnis tut weh. Wenn wir den Eindruck haben, dass Kundera auf irgendeine Weise „unser“ ist, sollten wir ihm das zeigen. Sein Verhalten zeugt nämlich davon, dass Tschechisch und das tschechische Umfeld ihm überhaupt nicht gleichgültig sind.

Was wäre für den Anfang zu tun? Zum Beispiel zuzugeben, dass die positive Einschätzung der Raubübersetzung der Identität ein totaler Faux pas ist. Auch wenn sie genial gemacht wäre, so ist sie doch nicht autorisiert. Sie zu bewerten, ist einzig und allein dem Autor vorbehalten.

Traurig ist nur, dass der Mangel an tschechischer Anerkennung und das verbissene Schweigen Kunderas letztendlich unvermeidbar zu einem tatsächlichen Nachlassen des Interesses an seinem Werk bei uns führen werden. Seine Bücher wird es nicht geben und die Leser vergessen einfach. Es wäre jedoch schade, sollten wir Milan Kundera auf diese Weise verlieren. Einen größeren zeitgenössischen tschechischen Schriftsteller haben wir nicht.

Die Autorin ist Schriftstellerin.

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