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Kein Weg führt mehr nach Libkovice

Die kurvenreiche Asphalt-Straße in Richtung Libkovice führt an mehreren Anglerteichen vorbei. Der weit entfernte Horizont lässt die grüne Landschaft seltsam erscheinen. Die Ebenen und Hügel sind von Menschenhand erschaffen.

Autor fotografie: Ludvík Hradilek • Autor: Respekt
Autor fotografie: Ludvík Hradilek • Autor: Respekt

Die kurvenreiche Asphalt-Straße in Richtung Libkovice führt an mehreren Anglerteichen vorbei. Der weit entfernte Horizont lässt die grüne Landschaft seltsam erscheinen. Die Ebenen und Hügel sind von Menschenhand erschaffen. „Libkovice gibt es nicht mehr, was soll man da auch?“, lachen ein paar Männer auf der Dorfstraße von Lom.

Die kleine Straße in den einstigen Nachbarort ist in der Tat mit Gras und Disteln zugewachsen. Wie abgeschnitten endet sie plötzlich im Lehm. 1000 Menschen lebten früher in dem bereits 1186 erstmals urkundlich erwähnten Dorf. Von den 300 Häusern ist nur noch ein Grundstück geblieben. Ein schwarzer Schäferhund rät ungebetenen Gästen, lieber nicht das Tor zu öffnen.

Die letzten Bewohner

Renata Bělohradská kommt heraus und bittet, näher zu treten. Sie ist an Journalisten gewöhnt, Dutzende waren in den vergangenen Jahren schon hier. Sie und ihr Mann sind die einzigen, die sowohl dem Druck der kommunistischen Funktionäre als später auch der Braunkohle-Lobby standgehalten haben und geblieben sind. Heute leben sie in einer völligen Einöde, doch sie sind zufrieden.

„Wir sagten uns: Das ist unser Eigentum, wir verkaufen nicht. Wenn alle so gehandelt hätte, gäbe es unser Dorf noch heute“, ist Frau Bělohradská überzeugt und zeigt ein Album mit Fotos, die die Vernichtung der Ortschaft Libkovice dokumentieren. Das Ehepaar verfolgte, wie das Dorf völlig unnötig dem Erdboden gleichgemacht wurde. Vor ihrem Haus wurde mehrmals mit dem Bau von Entlüftungsschächten begonnen, die dann wieder eingerissen wurden.

„Macht nichts, mein Mann hat in all den Jahren den Bau beaufsichtigt und Geld für ein schönes Motorrad verdient“, sagt die letzte Einwohnerin des einstigen Libkovice lachend. Ursprünglich sollte der nahe Braunkohle-Tagebau auch das Dorf schlucken. Doch später erwies sich, dass der Abbau der unter Libkovice liegenden Kohle viel zu aufwendig und uneffektiv wäre.

Doch dann wird sie ernst: „Es war widerlich, wie hier mit den Leuten umgegangen wurde.“ 95 Prozent der Dorfbewohner hatten dem staatlichen Druck nachgegeben und ihre Häuser zum diktierten Preis verkauft. „Viele alte Leute ertrugen den Wechsel nicht mehr, viele kamen ins Altersheim und sind schon kurz danach gestorben“, berichtet Renata Bělohradská.

Im nahe gelegenen Dorf Loučná bei Litvínov stehen in der Libkovicer Straße drei kleinere Mietshäuser. Die Bewohner von Libkovice, die hier eine Wohnung bekamen, hatten noch relatives Glück. Wie Antonín Vestfál. „Unter den Kommunisten musste man doch unterschreiben“, sagt er verbittert. Doch wagte er zumindest ein wenig Widerstand. Als er eine Ersatzwohnung in der Industriestadt Most bekommen sollte, lehnte er ab. „Rechts Beton, links Beton – da kann ich doch nicht leben“, erinnert sich der Vertriebene aus Libkovice an seine damaligen Worte. So richtete er sich im Dorf Loučná lieber auf eigene Kosten eine Wohnung her.

In die Betonwüste

In der Plattenbausiedlung von Most, wohin die meisten anderen umgesiedelt wurden, ist es heute schwer, noch einen alten Libkovicer zu finden. Damals waren zwei Blöcke für die Dorfbewohner reserviert worden. Doch inzwischen sind viele verzogen. Zwei junge Frauen mit Kinderwagen schütteln auf die Frage nach Libkovice nur den Kopf. Erst ein alter Verkäufer in einem vietnamesischen Geschäft zeigt auf den letzten Eingang eines Wohnblocks. Das Klingelbrett herausgerissen, die Türklinken abgebrochen und der Fahrstuhl beschmiert – so sieht das neue Zuhause von Jaroslav Krejčí (77) aus.

Er war einer der Letzten, die den Kampf um ihr Heimatdorf aufgaben. „Dort lag hinter meinem Haus der Wald, ich hatte Ruhe, hier gibt es nur Krach. Meinen Hund musste ich auch abschaffen, es wäre hier nur eine Quälerei für ihn“, klagt er.

Zwei Eingänge weiter wohnt Karel Veruněk – auch ein ehemaliger Libkovicer – mit seiner Frau, zwei Hunden, zwei Katzen und einem großen Aquarium in einer Zwei-Zimmer-Wohnung. Auf dem Balkon hat er einen kleinen Garten angelegt. „Tomaten sind hier aber nicht gewachsen, jetzt versuche ich es mit diesen Blumen aus Kroatien“, erzählt er. Das Geld, das er für sein Haus vom Staat bekommen hat, ist längst für die Miete draufgegangen.

Vor einigen Wochen nahm Veruněk im ehemaligen Libkovice an einem Protestmarsch des Umweltverbandes „Duha“ (Regenbogen) gegen die drohende Abbaggerung der nahe gelegenen Gemeinde Horní Jiřetín teil. „Wir wollten darauf hinweisen, dass das Schicksal von Libkovice völlig unnötig war und sich nicht wiederholen darf“, sagt Umweltschützer Vojtěch Kotecký. Doch nur noch einen weiteren ehemaligen Libkovicer traf er bei dem Protestmarsch. Es interessiere eben niemanden mehr, meint Veruněk.

Die Umsiedlung lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Nach dem Zweiten Weltkrieg sind in der Tschechischen Republik 81 Dörfer und Städte dem Kohleabbau zum Opfer gefallen. Und es soll weitergehen. „Unter Horní Jiřetín liegen Kohlevorräte der höchsten Qualität“, sagt Liběna Novotná, Sprecherin der Braunkohle-Gesellschaft Most.

Tschechische fassung hier.

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